Wahrheiten und Mythen über Einstellungsverfahren – Interview mit Uwe Kanning

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Uwe Kanning ist eine Koryphäe im Bereich der Personalauswahl. Er ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück und wurde gerade wieder zu den 40 führenden HR-Köpfen des Personalmagazins gewählt. Herr Kanning verbindet die Welt von Wissenschaft und Praxis und bringt aktuelle HR-Themen unter anderem über einen eigenen YouTube-Kanal in die Öffentlichkeit. In einem Telefoninterview hat Herr Kanning uns seine Ansichten zum Thema Trends in der Personalauswahl mitgeteilt. Wir bedanken uns herzlich dafür.

In der Personalauswahl legen viele Unternehmen mehr Wert auf Trends, als auf valide Auswahlverfahren. Was sind die Ursachen dafür?

In Personalabteilungen wird leider vieles aus dem Bauch heraus entschieden. Meist zählt eher der Rang des Entscheiders, als Forschungsergebnisse, wenn es um die Gestaltung von Auswahlverfahren geht. Das hat u.a. damit zu tun, dass viele Entscheidungsträger nicht über ausreichend Fach- und Methodenkompetenz verfügen. In Personalabteilungen findet man häufig die diversesten Ausbildungshintergründe. Was leider fast alle gemeinsam haben: Sie haben keine diagnostische Fachausbildung genossen. Und ohne diagnostische Ausbildung fehlt das Fachwissen, das zur Gestaltung von validen Verfahren notwendig ist. So entscheiden sich Personaler häufig für Methoden, die viele andere schon ausgewählt haben. Das entspricht der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse: Man schaut einfach, was andere manchen und glaubt, wenn viele es machen, kann es nicht so falsch sein.

 

Ein neuer Trend sind digitale Auswahlverfahren. Sie haben einige davon untersucht. Was sind die Ergebnisse Ihrer Forschung?

Unsere Fragestellung war: Wie erleben potentielle Nutzer digitale Verfahren? Dabei ging es vor allem um Sprachanalysen und Persönlichkeitsprofile, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz aus Social Media Daten von Bewerbern erstellt werden. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Verfahren nur auf der Dimension „Modernität“ besser als die klassische Sichtung der Bewerbungsunterlagen und das Einstellungsinterview abschneiden konnten. Auf allen anderen Dimensionen schnitten sie schlechter ab. So wird beispielsweise die Profilerstellung mit Daten aus dem Netz als übergriffig bewertet.

Daten der Anbieter einer Sprachanalysesoftware liefern bei näherer Betrachtung auch nur sehr ernüchternde Ergebnisse zur Validität. Hier werden zwar Belege für Zusammenhänge zu Persönlichkeitsskalen vorgelegt, Persönlichkeitsmerkmale selbst sind aber keine guten Prädiktoren beruflicher Leistung. Mehr dazu berichte ich auch auf meinem Youtube-Kanal.

 

Sehen Sie in der Digitalisierung auch die Chance, Auswahlverfahren valider zu gestalten?

Ja, vor allem die Bewerbervorauswahl könnte valider werden. Dafür muss der Arbeitgeber aber vorab tatsächlich valide Kriterien definiert haben. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass Bewerber kein Anschreiben mehr formulieren müssten. Anschreiben wird ohnehin eine zu große Bedeutung beigemessen und der Verzicht darauf wäre für beide Seiten sinnvoll. Personaler bräuchten weniger Zeit zum Lesen der Bewerbungsunterlagen und Bewerber müssten keine Formulierungen mehr aus Bewerbungsratgebern kopieren.

Insgesamt gilt es bei der Künstlichen Intelligenz abzuwarten. Die Algorithmen müssten offen gelegt und durch unabhängige Forschung überprüft werden. Zudem darf man die Expertise über die Künstliche Intelligenz nicht IT-lern überlassen. Gute Personalauswahl setzt diagnostische Fachkompetenz voraus – auch und gerade im Falle digitaler Methoden.

 

Worauf sollten Unternehmen zusätzlich zu guten Auswahlinstrumenten bei der Personalauswahl achten?

Vor allem das Personalmarketing ist wichtig, denn die Qualität der Auswahlentscheidung ist auch abhängig von der Zusammensetzung des Bewerberpools. Viele unreflektierte Bewerbungen sind nicht besser als einige wenige sehr passende. Sinnvoll ist daher ein selektives Marketing, bei dem nicht alle potentiellen Stellensuchenden angesprochen werden, sondern eben nur die guten. Dazu gehört, dass man klare Ansprüche formuliert und differenziert deutlich macht, wer gesucht wird. Bei 3,5 Mio. Unternehmen in Deutschland können Bewerber nicht über jedes Unternehmen spezifisch Bescheid wissen. Daher bewerben sich viele ins Blaue hinein. Wenn von Anfang an über spezifische Kanäle nur diejenigen angesprochen werden, die auch tatsächlich in Frage kommen, erhält man einen qualitativ hochwertigeren Bewerberpool.

Auch die Art der Bewerberansprache ist ein wichtiges Thema. Beispielsweise wollen nicht alle jungen Leute automatisch geduzt werden. Das Duzen beeinflusst maßgeblich die Seriosität, die dem Unternehmen oder einer Stelle zugeschrieben wird.

Dann sind noch einige weitere Faktoren wichtig, wie zum Beispiel:

– Eine schnelle Reaktion auf Bewerbungen. Niemand möchte wochenlang auf eine Eingangsbestätigung warten. Gerade bei gut ausgebildeten und gefragten Fachkräften sind schnelle Reaktionen wichtig, um sich gegen andere Unternehmen durchsetzen zu können.

– Gute Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche. Der Lebenslauf sollte bekannt sein, so dass keine überflüssigen Fragen gestellt werden müssen.

– Freundlichkeit. Auch wenn das so einfach klingt und eigentlich selbstverständlich ist, sieht die Praxis dennoch oft anders aus. Mit Freundlichkeit schafft man es, einen guten Eindruck beim Bewerber zu hinterlassen und für das eigene Unternehmen Werbung zu machen.

– Bewerbern die Möglichkeit geben zu zeigen, wie gut sie sind. Dies erreicht man mit Fragen, die auf den Arbeitsalltag angepasst sind und Szenen oder Situationen durchspielen, denen ein Bewerber bei der späteren Arbeit tatsächlich begegnen würde.

– Gute Performance. Das beginnt bei einer aussagekräftigen Stellenausschreibung, beinhaltet den Erstkontakt mit Bewerbern – sind beispielsweise die Ansprechpartner für einzelne Stellenausschreibungen in der Personalabteilung bekannt? –, reicht über die Organisation von Auswahlverfahren, und zugige Rückmeldungen an die Kandidaten und bis zum ersten Arbeitstag im Unternehmen.

 

Ein Verfahren scheitert häufig schon an fehlenden Kriterien. Haben Sie praktische Tipps, wie geeignete Kriterien definiert werden können?

Grundlegende Dinge, wie zum Beispiel Deutschkenntnisse, eine notwendige Ausbildung, ein bestimmter Studienabschluss, oder dass ein Führerschein vorhanden sein muss, sind leicht zu definieren. Schwieriger sind Persönlichkeitsmerkmale und die Soft-Skills. Dabei kann die Critical Incident Technique helfen. Hierfür werden Arbeitsplatzexperten – und damit sind nicht ausschließlich die Vorgesetzten, sondern auch Stelleninhaber, Mitarbeiter oder Kollegen gemeint – in Einzelinterviews befragt. Ihre Aufgabe ist es, typische Situationen aus dem Berufsalltag der zu besetzenden Stelle zu beschreiben und zusätzlich anzugeben, welches Verhalten in den fraglichen Situationen (nicht) zielführend ist. Dies legt z. B. die Grundlage für die Entwicklung situativer Fragen im Interview sowie die Definition der Kriterien zur Bewertung der Antworten.

Darüber hinaus sollten Unternehmen grundsätzlich über den Einsatz von Intelligenztests nachdenken. In vielen Berufen gehört die Intelligenz zu den besten Prädiktoren beruflicher Leistung, Intelligenztests sind jedoch in der Praxis kaum vorzufinden.

Auch eine realistische Tätigkeitsbeschreibung darf nicht unterschätzt werden. Welche konkreten Aufgaben erwarten einen Kandidaten – und welche nicht? Dabei sollte nichts beschönigt werden. Nur so kann verhindert werden, dass sich Kandidaten zu viel von der Stelle versprechen und im Zweifel noch während der Probezeit kündigen.

Das Wichtigste jedoch zum Schluss: Man sollte nicht einfach ein Produkt, ein fertiges Auswahlverfahren einkaufen und die Anforderungen der Stelle daran anpassen. Das wäre ja so, als ob man in die Apotheke geht, schaut welches Medikament gerade im Angebot ist, und die eigenen Beschwerden entsprechend anpasst. Nein, Personalauswahlverfahren müssen wie Medikamente genau passen – zu den Anforderungen eines Unternehmens und einer freien Stelle.

 

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Prof. Dr. Magdalena Bathen-Gabriel
Von Prof. Dr. Magdalena Bathen-Gabriel

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