New Work in der Hochschullehre?

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Werden Studierende in Hochschulen auf künftige Herausforderungen gut vorbereitet? Verfügen sie nach dem Studium über die nötigen Kompetenzen und Fähigkeiten, um in einer zunehmend komplexer werdenden Welt bestehen zu können? Haben sie einen Wertekodex ausgebildet und verinnerlicht, der ihnen hilft, auch in Entscheidungssituationen ohne vollständige Informationen handlungsfähig zu sein?

In der Arbeitswelt sind schon seit längerem neue Ansätze und innovative Modelle einer anderen Zusammenarbeit zu beobachten. Im Rahmen meiner Masterarbeit bin ich deshalb der Frage nachgegangen, ob es auch in der Hochschullehre neuer Formen der Wissensvermittlung und Kompetenzaneignung bedarf, um Studierende auf die Anforderung von morgen vorzubereiten. Dafür habe ich mir den Podcast „On the way to New Work“ von Christoph Magnussen und Michael Trautmann angehört – und bin auf die Suche nach Werten und Kompetenzen gegangen.

Der Begriff New Work wird heute unterschiedlich verwendet. Der kürzlich verstorbene Frithjof Bergmann hat mit diesem Begriff in den 1980er Jahren ein alternatives Verständnis von Arbeit geprägt. Er forderte, dass Arbeit den Menschen stärken soll (Bergmann 2020, S.120). Dazu kritisiert er den Kapitalismus mit seinem zwanghaften Wachstumsparadgima und schlägt vor, dass die Produktion von Gütern für ein erfülltes Leben nicht mehr von der Lohnarbeit abhängen soll. Ein Teil der Arbeitszeit soll so der Ausübung von Tätigkeiten dienen, die Menschen „wirklich, wirklich wollen“ (ebd., S.118). Aus heutiger Sicht ist Bergmanns Forderung als eher unrealistisch zu bewerten. Dennoch werden auch in der aktuellen Debatte Menschen in den Mittelpunkt gestellt und Fragen nach Sinn, Freiheit oder sozialer Verantwortung spielen eine Rolle. New Work kann somit als Diskussion über Ideen zum Umgang mit weitreichenden Veränderungen verstanden werden, in der gewohnte Strukturen hinterfragt und neugestaltet werden.

Auf meiner Suche nach grundlegenden Werten und Kompetenzen bin ich schließlich fündig geworden – 50 Podcast Folgen und ein Experteninterview ergaben schließlich acht entscheidende Werte und 15 Kompetenzen, die in einer künftigen Arbeitswelt von Bedeutung sind.

NEW-WORK-WERTE

Wie können diese Werte nun Bestandteil der Hochschullehre werden?

Werte können nicht gelehrt werden, sondern Lernende müssen sie in realen Entscheidungssituationen selbstständig bilden (Sauter, Sauter und Wolfig 2018, S.23). In der Lehre können dafür jedoch die Weichen gestellt werden, indem Werte aktiv thematisiert, reflektiert und diskutiert werden. Nicht zuletzt sind Lehrende Vorbilder, die die Werteentwicklung prägen. Um etwa den Wert Ganzheit zu leben, müssen sich Studierende und Lehrkräfte in ihrer Individualität begegnen dürfen. Dafür sind Vertrauen und sichere Räume entscheidend. Alle weiteren Werte können Teil von Projektarbeiten sein.

Kompetenzen werden durch eigene Erfahrungen und eigenständiges Handeln erworben. Nahezu alle oben genannten Kompetenzen lassen sich durch selbstbestimmte Projektarbeit in interdisziplinären Teams ausbilden, in denen sich Studierende gesellschaftsrelevanten Herausforderungen stellen. Auch Wertekonflikte und emotionale Spannungszustände können in Projekten zu Themen mit gesellschaftlicher Relevanz und schwer zu lösenden Herausforderungen zu mehr Selbstorganisation und Kreativität beitragen. Der Ausbau digitaler Medienkompetenz kann als Querschnittskompetenz in allen Studienrichtungen integriert werden. Scheitern und ein offener Umgang mit Fehlern ermöglichen eine andere Fehlerkultur, die zum Lernen und zur Selbstreflexion anregt.

New Work in der Hochschullehre? Ja, durch ein projektbasiertes Studium:

Es kann die Werte- und Kompetenzaneignung von Studierenden begünstigen und Lehrkräften größeren Freiraum in der Lehre ermöglichen. Es könnte eine digitale Plattform mit wissenschaftlichen Lehrmaterialen durch einen Zusammenschluss vieler Hochschulen geben, auf der sich Lernende grundlegende Studieninhalte und Methoden dann aneignen, wenn es für die Problemlösung in ihrem Projekt hilfreich ist. Lernbegleiter:innen könnten dabei helfen, aus der Fülle des Materials das Richtige zu selektieren. Grundsätzlich würde sich die Rolle von Lehrkräften zu Lernbegleiter:innen und Coaches wandeln. Zugleich bräuchten Lehrinhalte nicht mehr zentral in Curricula vorgegeben und entsprechend abgeprüft werden. Studierende könnten mit Lernbegleiter:innen Kompetenzziele eigenverantwortlich definieren und selbst einschätzen, in wie weit sie erreicht wurden. Möglichkeiten zur Standardisierung und Kontrolle des Gelernten würden damit begrenzt und die gesamte Struktur stark modularisierter Studiengänge müssten angepasst werden.

In einigen Hochschulen gibt es schon Ansätze in dieser Richtung. Um Studierenden jedoch das notwendige Rüstzeug für die Herausforderungen der künftigen Arbeitswert mitzugeben, werden grundsätzliche strukturelle Veränderungen notwendig sein.

 

Quellen:

Bergmann, F. (2020). Neue Arbeit, neue Kultur. (7. Auflage). Arbor Verlag.

Sauter, R.; Sauter, W. & Wolfig, R. (2018). Agile Werte- und Kompetenzentwicklung. Wege in eine neue Arbeitswelt. Springer-Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-662-57305-1 (letzter Aufruf: 28.02.2022).

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Von Anna Reese

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