Die Selbstbestimmungstheorie nach Deci & Ryan – Teil 2
Der Zusammenhang von Motivation und Autonomie
Thema Arbeitsmotivation
Im ersten Blogbeitrag zur Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan ging es um drei grundlegende menschliche Bedürfnisse, die im engen Zusammenhang mit der Arbeitsmotivation stehen: das Bedürfnis sich bei der Arbeit kompetent zu fühlen, das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und Anerkennung sowie das Bedürfnis nach Autonomie – also selbstbestimmt zu Entscheiden und Handeln. (Den ersten Beitrag finden Sie hier).
Im diesem zweiten Blogbeitrag beschäftigen wir uns nun damit, warum Autonomie bei der Entstehung von Motivation eine entscheidende Rolle spielt – weshalb Deci und Ryan ihre Theorie Selbstbestimmungstheorie getauft haben. Es gibt verschiedene Formen der extrinsischen bzw. fremdbestimmten Motivation, die sich im Grad der eigenen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit unterscheiden. Frau Weber, Herr Hoffmann und Herr Wagner werden uns wieder als Beispiel dienen.
Bestrafung und Belohnung
Beginnen wir mit einem Beispiel für extrinsische Motivation, die den geringsten Autonomiegrad aufweist: der externen Regulation des Verhaltens durch Bestrafungen oder Belohnungen durch andere.
Herr Hoffmann stellt nach der Arbeit seinen Kaffeebecher in die Geschirrspülmaschine in der Teeküche. Dies tut er nicht, weil er ein besonders ordentlicher Mensch ist – im Gegenteil. Eine Kollegin beschwerte sich neulich lauthals über den Zustand der Teeküche und er hatte das Gefühl, dass sie ihn besonders böse anschaute und ihn einige Tage mied. Um sich mit der Kollegin zu vertragen, hält er sich nun an die Regel. Er ist hierbei extrinsisch motiviert, um eine Bestrafung durch sozialen Ausschluss zu vermeiden. Eine andere Kollegin belohnt ihn dafür nun täglich mit einem verschmitzten Lächeln. Seine Autonomie in Bezug auf den Umgang mit seiner Kaffeetasse hat Herr Hoffmann dafür aufgegeben. Herrn Wagner wäre das nicht passiert; er lässt seine Tasse immer auf seinem Schreibtisch stehen.
Verinnerlichung von Regeln
Im Laufe unseres Lebens werden wir mit so vielen sozialen Normen konfrontiert, dass es lohnenswert ist sich daran zu halten, auch wenn gerade niemand zuschaut. Und je erwachsener wir werden, desto relevanter ist dies auch nach dem Strafrecht. Die Autonomie unseres Verhaltens nimmt hierbei etwas zu, dennoch bleiben es die Regeln und Erwartungen der anderen, die bei der introjizierten Regulation unser Verhalten lenken.
Frau Weber hält sich an die Straßenverkehrsregeln auf ihrem Weg zur Arbeit. Sie fährt allerdings sehr gern Auto und würde morgens auf der leeren Landstraße am liebsten deutlich schneller fahren. Sie sieht allerdings ein, dass sie andere Verkehrsteilnehmer nicht unnötig gefährden sollte – und man weiß ja nie, wann wo eine Blitze steht.
Identifikation mit Regeln und Normen der eigenen Gruppe
Viele Regeln, Ziele und Normen von Gruppen, zu denen wir uns zugehörig fühlen, werden Teil unserer Identität und wir beginnen diese aus eigenem Interesse zu verfolgen: Bei der identifizierten Regulation handeln wir schon mehr oder weniger autonom.
Alle drei Kollegen haben die im deutschen Kontext gebräuchlichen Formen der Höflichkeit verinnerlicht. Auch wenn Herr Wagner einen Kunden am Telefon hat, der ihn in unangemessener Weise beleidigt, bewahrt er die Ruhe, hört dem Kunden aktiv zu und versucht eine konstruktive Lösung zu finden, um den Kunden und auch sich selbst zufrieden zu stellen. Das Mitarbeitertraining hat sich für ihn sehr gelohnt. Herr Hoffmann hat darüber hinaus viel internationalen Kontakt und ist bemüht, nicht in kulturbedingte Fettnäpfchen zu treten, was ihm im Laufe der letzten Jahre immer souveräner gelingt.
Wenn Regeln und Normen zum eigenen Selbstbild passen
Erkennen wir die Ziele, Werte und Normen der Menschen, die uns umgeben, als selbstverständlich an, können wir sie uns ganz zu eigen machen: die integrierte Regulation des Verhaltens weißt den höchsten Grad an Autonomie auf, weil das gewünschte Verhalten mit unserem Selbstbild vereinbar ist.
Für Frau Weber ist es eine Selbstverständlichkeit gute Arbeit zu leisten und ihre Fähigkeiten konsequent weiterzuentwickeln, um immer kompetent die geforderten Aufgaben angehen zu können. Ihr Großvater, der im Rentenalter noch ein Studium begann, war ein großes Vorbild für sie. Und auch in der Freizeit ist Bildung ihr sehr wichtig.
Sind wir intrinsisch motiviert – handeln wir also nach dem Lustprinzip ohne dass uns jemand hineinredet oder (andere) Erwartungen an uns stellt, dann ist unsere Autonomie im Verhalten vollkommen gegeben. Und es kann sogar dazu kommen, dass wir Flow erleben: Ein Aufgehen in einer Tätigkeit, die uns Freude bereitet und leicht herausfordert, so dass wir die Zeit und alles andere vergessen und ganz im Hier und Jetzt auf unser Handeln fokussiert sind. Sportler nennen diesen Zustand auch the zone.
Die Freiheit selbst zu entscheiden
Die Qualität unseres Handelns und auch der innere Frieden, den wir damit haben, hängt maßgeblich davon ab, ob unsere Bedürfnisse nach Kompetenz und Zugehörigkeit gestillt werden. Aber insbesondere die Autonomie – die Freiheit selbst zu entscheiden und ein selbstbestimmtes Leben zu führen – spielen eine große Rolle für unsere Motivation. Und so lohnt es sich, einmal die Zeit zu nehmen und sich zu fragen, was uns motiviert, wer uns motiviert, welche Werte und Normen uns umgeben und welche eigenen Werte und Normen wir selbst als wichtig erachten. Wenn man sich Zeit nimmt für diese Selbstreflexion, kann man besser verstehen, was einen motiviert und warum. Vielleicht helfen Ihnen dabei folgende Fragen:
- Treffen Sie Entscheidungen lieber selbst oder können Sie auch gut nach Anweisung arbeiten?
- Wie groß ist Ihr Bedürfnis zu Lernen und Ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verbessern?
- Haben Sie einen inneren Maßstab, wann ihre Arbeit gut ist?
- Erfüllen Sie gern die Erwartungen anderer? Und ist Ihnen die Meinung anderer Menschen besonders wichtig?
- Wie groß ist ihr Harmoniebedürfnis?
- Brauchen Sie viel menschliche Nähe oder können Sie auch gut allein sein?
- Welche Regeln im zwischenmenschlichen Umgang sind Ihnen besonders wichtig?
- Welches Verhalten erwarten Sie von sich selbst?
- Welches Verhalten erwarten Sie von Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern, Kunden, … ?
- Welche Ziele verfolgen Sie gern? Was motiviert Sie sehr, weniger oder gar nicht?
Für Führungskräfte ließe sich aus der Selbstbestimmungstheorie folgende Schlussfolgerung ziehen: Wer motivierte Mitarbeiter haben möchte, sollte ihnen (im gewissen Rahmen) Autonomie einräumen, sie als Erwachsene behandeln, offen mit ihnen über Werte und Erwartungen kommunizieren und ihnen lieber als gutes Vorbild vorangehen, statt zu versuchen, das Arbeitnehmerverhalten mit Restriktionen und Sanktionen zu lenken.