Onlinekurse – offensichtliche und versteckte Vorteile

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In der Corona-Pandemie wurden viele Seminare auf Online-Formate umgestellt – als Notlösung. Die Hoffnung ist groß, schnell wieder zur Face-to-Face-Seminaren zurückkehren zu können, auch wenn Hygienekonzepte und Abstandsregeln didaktisch kaum lösbare Herausforderungen mit sich bringen.

Die gewonnenen Erfahrungen der letzten Monate werfen auch die Frage auf: Sind Präsenzseminare immer besser als Online-Formate? Das sehe ich deutlich anders. Schauen Sie mit mir einmal hinter die Kulissen.

Laptop inmitten von Fragewörtern
(c) Gerd Altmann, Pixabay-Lizenz 2020

Seminar: Begleiten wir einen fiktiven Seminarteilnehmer, ich nenne ihn Jens K., zu einem klassischen Führungsseminar.

Endlich hatte es mal geklappt mit der Seminarteilnahme. Die PE-Abteilung war schon ärgerlich, weil er zweimal kurzfristig absagen musste. Aber er war eben nicht so leicht abkömmlich im Team, die Personaldecke war knapp und die Termine eng. Da konnte er als Teamleiter doch nicht den Termin platzen lassen wegen eines Seminars? Das zweite Mal war er krank geworden, das war auch nicht planbar.

Nun saß er endlich in der Runde der Seminarteilnehmer und freute sich auf neue Impulse. Nun ja, es war nicht alles relevant für ihn. Kritikgespräche und Motivation interessierten ihn sehr, aber Beurteilungsgespräche gab es bei ihm nicht, das brauchte er nicht. Aber anhören schadete ja nichts. Er war offen und lernbereit.

Offensichtliche Vorteile

Wie liefe es bei einem Onlinekurs? (Ich meine hier einen Onlinekurs und kein Webinar – zur Abgrenzung hier) Nehmen wir eine fiktive Teilnehmerin Lena S.

Lena S. hatte sich die Teamleitung leichter vorgestellt. Als sie merkte, wie schwer es ihr fiel, ihre Führungsvorstellungen umzusetzen, gerade auch angesichts der knappen Personaldecke, meldete sie sich bei der PE-Abteilung. Nach der Zustimmung ihrer Vorgesetzten konnte sie sofort mit einem Onlinekurs anfangen. Als die Software-Umstellung überraschend nicht so glatt lief wie geplant, konnte sie in Absprache mit der Trainerin eine Lernpause einlegen.

Vorteil 1: Individuelles Zeitfenster

  • Es gibt keine Wartezeit.
  • Es muss keine Gruppe zusammenkommen.
  • Die Onlinekurs-Teilnehmenden können ihre Lernzeit individuell planen und mit ihren Praxisanforderungen und ihrem Alltag vereinbaren.
  • Für die PE fällt der Organisationsaufwand weg, eine Gruppe auf einen Termin zu vereinen und ggf. alles wieder zu stornieren, wenn die Teilnehmeranzahl nicht zustande kommt.

Lena S. hatte mit Ihrer Chefin Lernziele besprochen. Nun ja, die offiziellen. Das waren Kritikgespräche und Leistungsanforderungen stellen, Daneben hoffte sie noch, mehr zur Motivation von Mitarbeitenden zu erfahren. Mit der Onlinekurs-Trainerin wurden zu Anfang die Lern-Module individuell zusammengestellt. Auch ein Modul „Motivation“ war möglich. Als Vorbereitung für die Führungsgespräche sollte sie noch ihre Kenntnisse bei Gesprächstechniken vertiefen. Außerdem riet ihr die Trainerin zu einem Modul „Rollenmanagement“.

Vorteil 2: An persönlichen Lernbedarf anpassbar

  • Modularer Aufbau berücksichtigt die persönlichen Lernziele
  • Kompetenzmodelle können berücksichtigt werden
  • Kein irrelevanter Lernstoff

Seminar: Der zweite Tag im Seminar von Jens K. war sehr übungsintensiv. Nach der Mittagspause gab es Rollenspiele zu Führungsgesprächen. Sollte er sich melden? Das war eigentlich „sein“ Thema. Aber ihm brummte der Kopf. Würde er es alles richtigmachen? Er hielt sich lieber zurück. Die Seminarkollegen machten es allerdings auch nicht super. Egal, er hatte gute Ideen, was er in der Praxis mal ausprobieren könnte.

Nach der Kaffeepause gab es noch einen Trainerinput mit anschließender Gruppenarbeit: Umgang mit uneinsichtigen Mitarbeitern. In der Kleingruppe war eine Mehrheit dafür, dass es hierbei auf Konsequenz ankam. Wirkte das nicht zu hart? Jens K. hatte keine Lust, dagegen zu argumentieren. Blöderweise sollte er die Gruppenergebnisse im Plenum vortragen. Er eierte ein bisschen herum, was der Trainer auch merkte. Wie würde er selbst denn nun mit uneinsichtigen Teammitgliedern umgehen? Das zu klären war im Seminar keine Zeit mehr…

Je nach Vorerfahrungen und Tagesform braucht Lernen mehr oder weniger Zeit. Im Seminar muss man einen Kompromiss zwischen den Bedürfnissen aller Teilnehmenden machen. Bei Onlinekursen können die Teilnehmenden dagegen jederzeit so steuern, dass die Lernzeit passt.

Lena S. hatte die ruhige Zeit am Freitagnachmittag genutzt, um den Themenbereich „Kritikgespräche“ durchzuarbeiten. Einerseits war sie erfreut, wie viel klare Hinweise es dazu gab, andererseits aber ein wenig verunsichert, wie viel man auch falsch machen konnte. Als sie in einer Anwendungsübung Formulierungen in einem fiktiven Kritikgespräch erarbeiten sollte, fiel es ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Sie beschloss, den Kurs für heute zu beenden. Das Ganze sollte sich erstmal setzen.

Vorteil 3: Verteiltes Lernen

  • Je nach Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Unterbrechen können, wenn „der Kanal voll ist“
  • Neue Inhalte und praktisches Ausprobieren im Wechsel

Beim nächsten Anlauf ging es leichter, und das Feedback der Trainerin zeigte, wo sie es richtig verstanden hatte und was sie nochmal wiederholen sollte. In der Tat hatte sie beim Gesprächseinstieg viel zu freundlich formuliert, und dann fiel es ihr schwer, der Kritik das nötige Gewicht zu geben. Genau wie im wirklichen Leben! Sie hörte sich die Beispiel-Audios im Kurs nochmal an und machte sich eigene Notizen. Danach wiederholte sie die Übung, und nun war sie zufrieden.

Vorteil 4: Wiederholbar

  • Wenn etwas nicht ganz verstanden wurde
  • Wenn eine reale Führungssituation vorbereitet werden soll

Der Onlinekurs steht für die gesamte Lernzeit zur Verfügung, somit können sich die Kursteilnehmer immer wieder die Informationen holen, die sie gerade brauchen.

Verdeckte Vorteile

Für mich selbst überraschend waren die weiteren Vorteile, die unter der Oberfläche schlummern und sich mir im Laufe meiner Erfahrungen mit Onlinekursen erschlossen. Aus der Perspektive der Trainerin kann ich den Aktivitäten der Lernenden weitere Informationen entlocken. Ich kann ihnen beim Online-Lernen quasi über die Schulter schauen und viel individueller auf sie eingehen, als ich es bei einer Seminargruppe könnte.

Lena S. loggt sich jede Woche ein. Sie arbeitet meist mindestens eine Stunde am Stück. Bei ihren Lernzeiten sind zwei Typen erkennbar: zum einen die Randzeiten eines Arbeitstages, früh morgens oder am späten Nachmittag, zum anderen auch Zeiten am Wochenende.

Vorteil 5: Engagement erkennbar

  • Wie hoch ist das Engagement beim Online-Lernen?
  • Wie sinnvoll wirkt der Zeiteinsatz auf mich?
  • Brauchen Lernende Unterstützung?

Wenn ein Kurskollege nach den ersten zwei Wochen eine längere Pause eingelegt hat, kann ich klären, ob er Urlaub hat oder Stress oder Probleme mit dem Onlinekurs. Wenn eine andere Kurskollegin mehrfach am Sonntagabend bis 23 Uhr lernt, kann ich thematisieren, ob das für sie problematisch ist oder ob sie einfach eine Nachteule ist, die dann am besten lernen kann.

Als Trainerin bekomme ich schnell ein Gefühl dafür, wie wichtig der Onlinekurs für einen Teilnehmer ist. Will jemand seine Führungskompetenz in einem gesetzten Zeitrahmen verbessern? Oder will jemand nur mal gucken, was es so gibt? Dann können wir das thematisieren und überlegen, was dieser Kursteilnehmer braucht, damit er mehr Energie in das Lernen stecken kann.

Die Kursmodule für Lena S. habe ich nach ihren Lernzielen ausgewählt und in eine didaktisch sinnvolle Reihenfolge gebracht. Zunächst bearbeitet sie auch eine Lektion nach der anderen. Aber dann scheint sie sich nur noch den Themenbereich „Fragetechniken“ anzuschauen, auch mehrmals hintereinander. In unseren ergänzenden Coachinggesprächen klärt sich das schnell auf: Sie hat einen neuen Mitarbeiter bekommen, der sehr schweigsam ist. Mit offenen Fragen kommt sie mit ihm viel besser ins Gespräch, als wenn sie vor lauter Verlegenheit dauernd selbst redet.

Unverständliche Lernmuster können angesprochen und reflektiert werden. Eine Kurskollegin hatte sich zu Anfang gleich alle Themenbereiche angeschaut. Übungen hatte sie ausgelassen, dafür aber gerne die Videos geguckt. Das war dann viel zu viel Neues auf einmal, so dass sie eine praktische Anwendung bisher aufgeschoben hatte. Im Gespräch kann man dann ein schrittweises Vorgehen anregen.

Vorteil 6: Lernsteuerung sichtbar

  • Aktive Lernplanung oder Onlinekurs als Lückenfüller?
  • Systematisches Lernen, anlassbezogen oder Neugier geleitet?

Wer letztes Jahr seinen Master gemacht hat, kommt mit einem Onlinekurs meist sofort zurecht. Aber viele Führungskräfte sind schon länger vom Lernen „entwöhnt“. Das kann in einem Onlinekurs, der einige Wochen dauert und nicht nur zwei Tage, besser begleitet werden. Durch die Betrachtung der Arbeitsmuster bekomme ich ein Bild, was ich mit dem Kursteilnehmer besprechen kann. Dieses Feedback ist manchmal ein weiteres Lernfeld: viele Führungskräfte lassen sich auch sonst von den eiligen Aufträgen hetzen, anstatt dass sie ihre eigenen Prioritäten setzen und durchsetzen.

Seminar: Mal angenommen, Jens K. hat sich an den Seminardiskussionen rege beteiligt. Das wirkt auf den Trainer auch engagiert. Aber vielleicht ist Jens nur ein kommunikativer Typ? Bei den Rollenspielen hat er sich nicht gemeldet. Zwar hat er die Gruppenergebnisse vorgetragen, aber das wirkte reichlich dünn. Wie intensiv haben die Teilnehmenden da überhaupt diskutiert?

Wo hätte Jens K. Vertiefung gebraucht? Fragen hat er nicht gestellt. Eine individuelle Lernsteuerung ist im Seminar auch nicht nötig. Der Seminarplan gibt die Lernzeiten vor.

Vielleicht hat Jens K. aus einem misslungenen Rollenspiel von Kollegen das Fazit gezogen, dass solche Gespräche einfach zu gefährlich sind. Dann könnte das Seminar im Extremfall dazu führen, dass er sich an Kritikgespräche noch weniger herantraut als zuvor.

Viele Seminarteilnehmer handeln auch nach dem olympischen Motto „Dabeisein ist alles“. Sie genießen den Austausch in der Runde und lassen sich gerne etwas erzählen. Die ernsthafte Absicht, anschließend im wirklichen Leben etwas anders zu machen, ist meiner Erfahrung nach nicht die Regel.

In meinen Onlinekursen sehe ich den Praxistransfer: Es gibt Aufgaben, in denen Praxissituationen reflektiert und die Anwendung von Gelerntem ausgewertet werden soll. Was wird da berichtet? Bearbeitungskriterien wie abgeschlossene zu abgebrochenen Übungen oder falschen Lektionsantworten ergänzen das zu einemn anschaulichen Bild der Lernkurve.

Bei Lena S. erkannte ich schnell, was für ein harter Brocken das Modul „Leistungsanforderungen stellen“ für sie war. Im Einstiegsquiz erreichte sie nur 4 von 10 Punkten. Zwei Lektionen bearbeitete sie nicht zu Ende. Zu einem Fallbeispiel reichte sie eine Lösung ein, die von Andeutungen und Weichmachern durchzogen war, z. B. „Vielleicht haben Sie Lust, sich bei Gelegenheit mal in eine neue Aufgabe einzuarbeiten? Ich würde das gerne an Sie delegieren…“. Ein Praxisgespräch endete damit, dass die Mitarbeiterin es ablehnte, eine Zusatzaufgabe zu übernehmen.

Im Feedback lobte ich erstmal, wie tapfer sie sich dem Frust von neuen Wegen ausgesetzt hätte, und ermunterte sie, weiter dranzubleiben. In ihren Antworten konnte ich Ansatzpunkte erkennen, wie sie sich Schritt für Schritt verbessern könnte, und das übten wir in einem Coachinggespräch.

Vorteil 7: Lernkurve wie Frustpegel nachvollziehbar

  • Kognitiver Lernerfolg durch Qualität der Antworten erkennbar
  • Verhaltenslernerfolg über Transferaufgaben einschätzbar
  • Motivationsentwicklung und Krisen im Zeitverlauf zu verfolgen

Lena S. hatte das ursprüngliche Ziel, in ihre neue Führungsrolle besser hineinzuwachsen. Im Laufe des Kurses war sie mehrfach positiv überrascht über ihren Einfluss, wenn sie als Teamleiterin nicht nur auf Anfragen reagierte, sondern aktiv etwas vorantrieb. Daraufhin erhöhte sie ihren Anspruch. Sie wollte nicht nur im Team bestehen, sie wollte gestalten. Als es Probleme mit einer Software-Umstellung gab, nahm sie das zum Anlass, von ihrem Team mehr Lösungskompetenz zu fordern und die Aufgaben umzuverteilen.

Mich überraschte das nicht. Schon beim Online-Lernen hatte sich in Kleinigkeiten offenbart, wie leistungsmotiviert sie ist: Sie hatte z.B. eine Aufgabe wiederholt, nachdem ihr im Feedback die Schwachstellen aufgezeigt worden waren.

Vorteil 8: Anspruchsniveau zeigt sich

  • Eindringtiefe in den fachlichen Stoff
  • Umfang und Relevanz von eigenen Praxisbeispielen
  • Reaktion auf kritisches Feedback

Im Seminar kann jemand dasitzen und klug gucken. Beim Onlinekurs sehe ich genauer, wer sich nur durchklickt und wer die Themen tatsächlich in seinem Kopf bewegt.

Die Kehrseite: Ein derart individueller Onlinekurs mit persönlicher Betreuung ist aufwändig. Die Lernerfolge von Kursteilnehmenden zeigen allerdings, dass es sich lohnt!

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Sabine Neugebauer

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