Wie viel haben Sie im Supermarkt für den letzten Kaffee ausgegeben, den Sie gekauft haben?
Gemäß der ökonomischen Theorie weiß ein Konsument über die Preise für gerade erworbene Produkte Bescheid. Der Preis stellt häufig das relevanteste Kriterium für den Erwerb eines Verbrauchsgutes dar. In der alltäglichen Konsumpraxis scheint dies allerdings nicht immer der Fall zu sein. Achten Konsumenten stets auf Preise?
In einer Studie von Gabor & Granger wurden Konsumenten dazu befragt. Es kam heraus, dass lediglich 82% der Befragten einen Preis für soeben erworbene Lebensmittel angeben konnten. Der Preis konnte in diesen Fällen zudem nur zu 57% korrekt angegeben werden. Selbst Sonderangebote werden in der Regel von weniger als der Hälfte aller Käufer wahrgenommen.
Wovon hängt es also ab, ob wir Preise besser oder schlechter erinnern?
Dazu lohnt es sich, einen Blick in die Abläufe der individuellen Preiswahrnehmung zu werfen. Diverse Studien zeigen, wie unsere Preisschätzungen oft nicht von der Preishöhe abhängen, sondern ganz andere Faktoren in den Vordergrund beziehen, ohne dass wir dies überhaupt merken.
Motivationale, kognitive und situative Faktoren
Unser persönliches Konstrukt von Preisgestaltung scheint im Wesentlichen von motivationalen, kognitiven und situativen Faktoren abzuhängen. Je nach gegebenen Umständen, können objektiv gleiche Preise so als günstiger oder teurer erscheinen. Supermärkte nutzen beispielsweise gerne die an den Kassen beliebten Impulsartikel, um uns unter dem Vorwand des Zeitdruckes, des Wartens, der Bequemlichkeit oder auch einfach der Verfügbarkeit, noch eine einzige Schachtel Kaugummis oder einen Schokoriegel zu verkaufen. Dabei ist sich der Konsument im Regelfall durchaus bewusst, wie unattraktiv das Preis/Leistungsverhältnis bei diesen Artikeln tendenziell ist. Winkelmann (Kirchler 2011, nach Winkelmann 2008) hält hierzu theoretische Faktoren fest, welche Einfluss auf unsere Wahrnehmung von Preisen haben:
Motivationale Faktoren |
Kognitive Fähigkeiten |
Situative Fähigkeiten |
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Kohärente Beliebigkeit bei der Preiswahrnehmung
In der ökonomischen Theorie gilt, dass die Preis-Absatzfunktion angibt, wie sich der Absatz eines Produktes bei steigendem Preis entwickelt. So kann mithilfe der Zahlungsbereitschaft ermittelt werden, welche Präferenzen Konsumenten haben. Studien haben allerdings gezeigt, dass eine überragende Bedeutung eher auf spezifischen Ankerwerten liegt. So bestimmt ein festgelegter Anker, ob ein Preis für ein Produkt als hoch oder niedrig wahrgenommen wird. Nehmen wir als Beispiel das Trinkgeld für Taxifahrten in New York. Früher zahlten Kunden bar und legten im Durchschnitt 10% Trinkgeld oben drauf. Heutzutage ist es dort üblich, Taxifahrten mit Kreditkarte zu zahlen. Auf einem Display im Taxi erscheint bei der Bezahlung ein vorgeschlagenes Trinkgeld von 20, 25 oder 30%. Der Gast kann natürlich auch frei wählen, ob und was er bezahlt. Mit diesen 3 Ankern stieg das Trinkgeld von durchschnittlich 10% auf 22% ohne irgendetwas anderes am Service zu ändern.
In einer Studie von Ariely et al. aus dem Jahr 2003 wurden Probanden ein unangenehmer Ton vorgespielt. Die Probanden wurden dabei in zwei Testgruppen unterteilt – die 10 Cent Gruppe und die 90 Cent Gruppe. Der 10 Cent Gruppe wurde gesagt, dass sie mit 10 Cent belohnt werden, wenn sie sich den Ton noch einmal anhören. Die 90 Cent Gruppe erhielt das gleiche Angebot, nur mit einer Belohnung von 90 Cent. In einem zweiten Durchlauf wurden beide Gruppen dann gefragt, für welchen selbstgewählten Betrag sie den unangenehmen Ton noch einmal hören würden.
- 10 Cent Gruppe => wollte im Mittel 33 Cent haben
- 90 Cent Gruppe => wollte im Mittel 73 Cent haben
Die Unterschiede hatten nichts mit dem Ton zu tun, sondern gingen leidglich auf den Ankerwert von 10, beziehungsweise 90 zurück, der zuvor festgelegt wurde.
Der Ankereffekt kann daher zu stabilerer Zahlungsbereitschaft führen. Dabei ist es egal, ob der gesetzte Anker aus einer Zahl oder einer anderen Eigenschaft besteht. Dieses Phänomen ist in der Verhaltensforschung bereits seit den 70er Jahren bekannt. Informationen, die unterbewusst in unserem Umfeld stattfinden, beeinflussen unsere Urteilsfindung. Sehr gut zu beobachten ist dieser Effekt bei Verhandlungen von Automobil-, und Immobilienpreisen oder sogar von Gehältern. Doch auch im Supermarkt findet der Effekt Anwendung. Erinnern wir uns beispielweise an das Sonderangebot, bei welchem deutlich angeben wurde, von wieviel es runtergesetzt wurde. Der Anker nennt hier einen Startwert und gibt, unabhängig vom Produkt, eine Information, welche bei der Preisinterpretation entsprechend verarbeitet wird.
Stellen wir uns weiterhin ein grün verpacktes Produkt mit der Aufschrift „bio“ vor. Als unbewusste Suggestion aktiviert der Anker zu ihm passende Assoziationen, welche die Urteilsfindung beeinflussen können (auch Priming genannt). Mit dem Label „bio“ wird tendenziell eine höhere Qualität assoziiert, was letztendlich die Zahlungsbereitschaft erhöht. In der Praxis sind Konsumenten daher bereit, mehr für ein Produkt mit Biolabel auszugeben als für ein Produkt ohne. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Produkt wirklich „bio“ ist oder es nur darauf steht.
Preisschwellen, Referenzen und Preisakzeptanz
Konsumenten haben einen Referenzpreis, eine konkrete Vorstellung von einem „fairen Preis“ für ein zu erwerbendes Gut. Um diesen Referenzpreis liegt ein Toleranzbereich, innerhalb dessen Preisschwankungen kaum einen Effekt auf den Konsumenten haben. Van Raaij und Van Rijen (2003) konnten zeigen, dass Preise bis zu einer gewissen Schwelle dabei als akzeptabel eingestuft werden. Eine hierzu durchgeführte Studie hat ergeben, dass 71% der Befragten bereit waren, 2,99 Gulden für Zahnpasta zu bezahlen, während lediglich 63% bereit waren, 3,00 Gulden dafür zu bezahlen. Auf rationaler Basis wird hier ein Unterschied von lediglich 0,01 Gulden beobachtet. Dennoch wird die Entscheidung aufgrund des zugeschriebenen Wertes des Toleranzbereichs getrübt. In diesem Beispiel ist also eine deutliche Schwelle bei 2,99 Gulden zu verzeichnen. Die nächste Schwelle in dieser Studie lag bei 3,19 vs. 3,20 Gulden.
Konsumenten nehmen die Preisfunktion also nicht stetig wahr, sondern interpretieren diese in Form von Stufen. Gemäß der holistischen Theorie für Zahlenwahrnehmung (Thomas & Morwitz, 2005) werden Zahlen als Ganzes wahrgenommen. Ziffern werden in mentale Repräsentationen übersetzt, die für die Einschätzung von „viel“ oder „wenig“ eine zentrale Rolle spielen. Dabei stellt die äußerste linke Zahl die wichtigste Referenz dar, da in der westlichen Kultur Stellen von links nach rechts rezipiert werden. So entstehen bei der Wahrnehmung von Preisen diskrete Abschnitte. 4,95€ werden demnach noch lange nicht als 5,00€ empfunden und 2,98€ werden als Preis zwischen 2€ und 3€ interpretiert. Zu beobachten ist ebenfalls, dass Preisdifferenzen von links nach rechts mit abnehmender Intensität wahrgenommen werden. Linke Ziffern werden also mit größerer Aufmerksamkeit betrachtet als rechte Ziffern. So werden 9,95€ gerne als „9 und ein bisschen was“ gesehen. Dies erklärt auch, warum wir so oft Neunerpreisen wie bspw. 49,99€ begegnen.
Doch auch die rechten Zahlen zeigen bei der Interpretation von Preisen einen Bedeutungseffekt. Sie suggerieren per Konvention, dass sie den kleinsten möglichen Preis darstellen oder sogar von einem höheren Preis reduziert wurden. In einer Studie von Schindler & Kibarian (1996) wurde das Kaufverhalten bei unterschiedlichen Endziffern untersucht. Hierbei wurden drei Versionen eines Warenhauskatalogs verteilt – jeweils mit .00, .88 und .99 als rechte Ziffer des Preises. Es konnte festgehalten werden, dass 10 Prozent höhere Erträge verzeichnet werden, wenn der Preis mit .99 endete.
Preisschätzungen hängen nicht vom Preisniveau ab
Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass Preise vor allem Beachtung finden, wenn:
- Neue oder seltene Artikel erworben werden
- Konsumenten nicht markentreu sind
- Konsumenten über ein hohes oder geringes Einkommen verfügen
- Konsumenten über hohe Schulbildung verfügen, Single und berufstätig sind
Ebenfalls ist zu beobachten, dass Konsumenten Artikel in zwei Kategorien unterteilen – in die preisbewussten und nicht preisbewussten Artikel. Preisbewusstes Kaufverhalten beinhaltet beispielsweise Artikel wie Möbel, Geschenkartikel, Bekleidung, oder Urlaub dar. Nicht preisbewusstes Kaufverhalten spiegelt sich in Artikeln wie Babynahrung, Zigaretten, Bier, Wein oder Kaffee wider.
Kultur und kognitive Gewohnheiten können bei der Preiswahrnehmung auch eine Rolle spielen. In einer Studie von Luna & Kim mit koreanischen und amerikanischen Konsumenten wurde die numerische Kognition und Sprache bezogen auf die Preiswahrnehmung untersucht. Hier wurde festgehalten, dass Preisschätzungen beispielsweise ungenauer sind, wenn die Sprache für Zahlenwörter mehr Silben benötigte.
Die Gesetze der Ökonomie hinsichtlich Angebot und Nachfrage betreffend der Preise gelten also nicht allumfassend. In den Wirtschaftswissenschaftlichen Theorien wird die individuelle und subjektive Einschätzung der Kunden häufig nicht mit einbezogen. Daher erfolgt die Beurteilung eines Preises selten auf Basis von rein objektiven Kriterien. Preissensibilität hat weniger mit der tatsächlichen Preishöhe zu tun, als mit dem subjektiven Empfinden und den Erwartungen des Käufers. Dieser subjektive Charakter der Preiswahrnehmung führt dazu, dass objektiv gleiche Preise bei unterschiedlichen Personen unterschiedlich hoch empfunden werden und so auch die Preis- und Kaufbereitschaft differiert.
Literatur
Ariely et al. (2003). „Coherent Arbitrariness“: Stable Demand Curves Without Stable Preferences. Quarterly Journal of Economics, 118, 73-105
Dickson, P.R. & Sawyer, A.G. (1990). The Price Knowledge and Search of Supermarket Shoppers. Journal of Marketing, 54, 42-53
Felser, G. (2015). Werbe- und Konsumentenpsychologie, S. 150 & 206. Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag
Gabor, A. & Granger, C.W.J. (1961). On the Price Consciousness of Consumers. Journal of the Royal Statistical Society. Applied Statistics, 10, 170-188
Kalwani, M.U. & Yim, C.K. (1992), Consumer Price and Promotion Expectations: An Experimental Study. Journal of Marketing Research. 29, 90-100
Kirchler, E. (2011). Wirtschaftspsychologie. Individuen, Gruppen, Märkte, Staat. Göttingen: Hogrefe Verlag
Luna, D. & Kim, H.M.K. (2006). Remembering Prices: Numeric Cognition, Language, and Price Recall. Advances in Consumer Research, 33, 235-235
Schindler R.M. & Kibarian T.M. (1996). Increased Consumer Sales Response Through Use of 99-Ending Prices. Journal of Retailing, 72, 187-199
Thomas, M. & Morwitz, V. (2005). Penny Wise and Pound Foolish: The Left-Digit Effect in Price Cognition. Journal of Consumer Research, 32, 54-64
Van Raaij, F. & Van Rijen, C. (2003). Money Illusion and euro pricing. Tilburg: Tilburg University and Fontys Hogescholen