Schwächen? Habe ich nicht! – Anekdoten aus dem Bewerberzirkus

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Das Thema Recruiting kann man von vielen Seiten beleuchten. Wissenschaftlich-Theoretisch mit Abhandlungen über die prädiktive Validität von Assessment Centern, aus Bewerbersicht mit Tipps, wie der (meist ungelesene) beste Einleitungssatz des Anschreibens aussehen sollte, oder modern-digital mit einer Lobeshymne auf Chatbots, die den Bewerbern auf Unternehmenswebseiten vorgaukeln, dass sie mit einem echten Unternehmensvertreter sprechen. Wobei – manchmal stecken tatsächlich echte Mitarbeiter hinter den Chatfunktionen…einfach bei Gelegenheit mal ausprobieren.

Ich will aber gar nicht weiter ablenken. Der Themenblock Recruiting geht auf unserem Blog mit einem Augenzwinkern los. Und zwar mit Anekdoten, die sich alle im Bewerbungskontext ereignet haben. Das sind zum einen Geschichten, die sich gesammelt haben, als wir selbst unsere ersten Bewerbungen verfasst haben, zum anderen aber auch, als auf der anderen Seite des Tisches die Rolle des Recruiters übernommen wurde. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen.

Vom Sinn und Unsinn einer Bewerbung – Passt die Stelle überhaupt zu mir?

Ein Assessment Center bei einem großen Energiekonzern. Gesucht wird ein Ingenieur im Bereich atomarer Energie. Vier Bewerber durchlaufen die gestellten Aufgaben und werden von mehreren anwesenden Recruitern des Unternehmens beurteilt. Als Praktikantin bleibt mir neben meinen Backoffice-Aufgaben immer wieder genug Zeit, um mich zwischen den Übungen mit den Bewerbern zu unterhalten. Dabei kommt es zu einem leidenschaftlichen Austausch über erneuerbare Energien. Einer der Bewerber argumentiert mit viel Herzblut für Wind- und Wasserkraft und gegen atomare Energie. Ob ihm denn bewusst sei, für welche Stelle er gerade das Assessment Center durchläuft, frage ich ihn nach seinen Erzählungen. Aus der Antwort lässt sich erahnen, dass der Bewerber beim Stichwort „Ingenieur“ aufgehört hat, die Stellenbeschreibung zu lesen. Sowohl ihm, als auch dem Unternehmen wäre einiges an Arbeit, Zeit und Geld erspart geblieben, wenn die Stellenausschreibung komplett betrachtet worden wäre…

Good Cop, Bad Cop – Ominöse Recruiterstrategien

Diesmal war es eine eigene Bewerbung, die mir den Einblick in dieses sonderbare Verhalten von Recruitern ermöglicht hat. Es ging um eine Stelle als Praktikantin in einem bekannten Chemiekonzern. Das Gespräch fand mit den beiden Vorgesetzten aus dem Bereich Human Resources statt, in dem auch das Praktikum stattfinden sollte. Das Gespräch wurde äußerst freundlich und wohlwollend von Frau F. eingeleitet. Ob ich gut hergefunden habe, wie toll meine Bewerbung angekommen sei und so weiter. Gleichzeitig saß Frau H. mit einer ablehnenden Körperhaltung, verschränkten Armen und versteinerter Miene mir gegenüber. Die erste Frage wurde dann auch von ihr gestellt. Ob ich mich einmal vorstellen und die wichtigsten Stationen aus meinem Lebenslauf nennen könne, aber bitte ohne großes Geschwafel. Etwas verdutzt ob der Ansprache antwortete ich und wurde direkt wieder unterbrochen. „Dass Sie studieren habe ich in Ihren Unterlagen ja schon gelesen. Gibt es nicht auch etwas Interessantes, das Sie für die Stelle bei uns bieten können?“. Ich blieb bei meiner Ansicht, dass das Studium für relevantes Vorwissen sorgen würde und daher durchaus interessant sei. Innerlich hatte ich dank der unfreundlichen Art von Frau H. schon mit der Stelle abgeschlossen. Während Frau F. immer wieder eine freundliche Gesprächsatmosphäre herstellte, schien Frau H. die Rolle des „Bad Cop“ verinnerlicht zu haben. Erst nach Abschluss des Gesprächs wandelte sich die Stimmung und ich stand zwei gleichermaßen freundlichen Personen gegenüber. Die angespannte Situation während des Gesprächs ist mir jedoch so nachhaltig in Erinnerung geblieben, dass ich trotz Zusage von Unternehmensseite das Praktikum letztendlich ablehnte. Sind gespielte Stresssituationen wirklich notwendig in Bewerbungsgesprächen, besonders wenn es „nur“ um ein Praktikum geht? Aus meiner Sicht ein klares Nein, besonders da Bewerber das Unternehmen nachhaltig in schlechter Erinnerung behalten können.

Wenn das Selbstbewusstsein ungesund wird

Im Laufe eines Bewerbertages begegnet man in der Regel zwischen 5 und 10 Bewerbern, denen bei strukturierten Interviews allen die gleichen Fragen gestellt werden. Dabei kommt es irgendwann zu einer gewissen Monotonie, auch hinsichtlich der Antworten, die man zu hören bekommt. In Erinnerung (wenn auch nicht immer in positiver) bleiben da natürlich die Antworten, die etwas aus der Reihe fallen.

Ein junger Mann, für das Gespräch extra in seinem schicksten Jogginganzug erschienen (schwarz glänzend, nur wenige weiße Streifen und Schriftzüge), dazu die passende Cappie, beantwortet höflich und nach bestem Wissen unsere Fragen. Dabei bleibt er stets selbstbewusst und gibt auch auf die Frage nach den teilweise recht schlechten Noten in seinem Abschlusszeugnis die ehrliche Antwort, dass ihm manchmal die Computerspiele einfach wichtiger waren, als die Schule. Als es dann zu der unvermeidlichen Frage nach seinen Schwächen kommt, überlegt der junge Mann zwar kurz, antwortet dann aber mit vollster Überzeugung: Schwächen? Die habe ich nicht!

Zu einer Einstellung ist es in diesem Fall leider nicht gekommen.

Viel hilft nicht immer viel

Eine Frau mittleren Alters betritt als nächstes den Raum. Aus den Bewerbungsunterlagen lässt sich erkennen, dass sie für die Stelle gut geeignet wäre. Eine größere Lücke im Lebenslauf ist nicht zu erkennen, auch jetzt scheint sie erst kürzere Zeit auf Stellensuche zu sein. Das Gespräch verläuft erfreulich, die allgemeinen Fragen kann sie souverän beantworten und auch die Selbstvorstellung ist interessant und kurzweilig. Dann kommt es zu den fachlichen Fragen, die von der Fachbereichsleitung gestellt werden.

„Angenommen, wir geben Ihnen die Stelle. Wie sieht Ihrer Meinung nach der Arbeitsalltag aus?“. Die Bewerberin überlegt längere Zeit, die Fachbereichsleitung wird schon etwas unruhig. Die Antwort sorgt dann aber bei uns allen für erstaunte Gesichter: „Um welche Stelle geht es hier nochmal? Ich habe inzwischen so viele Bewerbungen geschrieben und so viele Vorstellungsgespräche, dass ich den Überblick verloren habe.“

Das Gespräch führen wir noch freundlich zu Ende, geben zum Abschluss jedoch den Hinweis, dass es besser sein kann, sich auf einige wenige Stellen zu bewerben, die dann auch tatsächlich von Interesse sind.

 

Sicherlich gibt es noch hunderte weitere Geschichten, die hier erzählt werden könnten. Vom Recruiter, der die Bewerber kaum zu Wort kommen lässt, von unangenehmen oder sogar unangemessenen Fragen, die in Vorstellungsgesprächen nach wie vor gestellt werden, von gänzlich unvorbereiteten Bewerbern und von Recruitern, die während eines Gesprächs genüsslich ihren Döner verspeisen. Die nächsten Artikel aus unserer Themenreihe sollen jedoch einen Beitrag dazu liefern, Recruiting-Situationen zu optimieren. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und ein paar neue Erkenntnisse für den Arbeitsalltag.

Über den Autor

Prof. Dr. Magdalena Bathen-Gabriel

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