Homeoffice oder Officehome?

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Sabine Neugebauer (SN): Ina, du hast im Rahmen deiner Tätigkeit für die RWTH Aachen einen Leitfaden geschrieben, wie wir mit der epidemisch um sich greifenden Homeoffice-Arbeit am besten umgehen können. Weshalb klappt das nicht automatisch gut?

Ina Echterhof: Erstmal erscheint es positiv, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten: mehr Flexibilität, gemütliche Räume und wegfallende Arbeitswege. Die Kehrseite: Man muss Arbeit und Freizeit bewusst trennen. Ansonsten gibt es keinen richtigen Feierabend mehr. Gedanken an die Arbeit bleiben immer präsent und man kann nicht abschalten. Doch das ist gerade in den stressigen Corona-Zeiten wichtig.

SN: Also kann schnell aus dem Homeoffice ein „Officehome“ werden, wo man sich quasi immer im Dienst fühlt?

Ina Echterhof: Genau. Wenn man etwas nicht fertig kriegt, ist man im Homeoffice gefährdet, es abends noch schnell zu beenden und immer mal wieder die Mails zu checken und zu beantworten. Auch Pausen fallen viel leichter weg. Da kommen schnell Überstunden zusammen – wenn man sie denn überhaupt aufschreibt. Aber Mehrarbeit sollte mit dem Arbeitgeber abgesprochen sein. Man sollte sich an die vereinbarten Arbeitszeiten halten und den Rechner nach der Arbeit runterfahren und etwas für sein eigenes Wohlbefinden tun.

klare Grenzen zwischen Office und Home

SN: Du hast ja eine Reihe Tipps gesammelt, wie man die Abgrenzung schafft:

  • Bürokleidung bei der Arbeit
  • Arbeitsplatz einrichten statt Sofa
  • Ergonomie beachten
  • Arbeitsroutinen möglichst beibehalten
  • Störungen vorbeugen
  • Zuständigkeiten absprechen
  • Bewusst Pausen und Feierabend machen

Ina Echterhof: Wenn man sich in Jogginghose mit dem Laptop auf die Coach setzt, verschwimmen Freizeit und Arbeit ganz schnell. Durch einen Kleiderwechsel kann man sich selbst gut signalisieren, wann was dran ist. Die ergonomisch gute Einrichtung des Heimarbeitsplatzes ist ebenfalls wichtig, wenn uns Corona noch länger zur Arbeit zuhause zwingt. Vielleicht kann man sich einen Bürostuhl aus dem Büro ausleihen? Daneben ist es sinnvoll zu improvisieren: beispielsweise mit einem zweiten Tisch auf dem Esstisch temporär einen Steharbeitsplatz zu zaubern. Oder zum Feierabend alles Arbeitsmaterial in eine Kiste verschwinden lassen – damit das Abschalten auch gelingt, wenn nur der Küchtentisch für das HomeOffice zur Verfügung steht.

Fotolizenz Pixabay 2020; (c) Autorin Bella H./Bellahu123

Aufmerksamkeitslenkung

SN: Auch die mentale Abgrenzung beschreibst du ja als sehr wichtig…

Ina Echterhof: Zu Hause gibt es eine Menge Ablenkungen. Damit wir nicht gestört werden, müssen wir aktiv vorsorgen. Aufmerksamkeit ist eine wichtige Ressource! Die sollten wir nicht verschwenden. Eine gute Idee ist es, sich alles Arbeitsmaterial bereit zu legen, das private Handy während der Arbeitszeit stummzuschalten und für Telefonkonferenzen ein „NICHT STÖREN“-Schild zu benutzen. Bei uns zuhause sprechen wir jeden Tag ab, wann und wie lange wir an diesem Tag arbeiten und wer welche Haushaltspflichten übernimmt. Dadurch wird hier niemand unnötig beim Arbeiten unterbrochen und es ist im Vornherein klar, wer sich worum kümmert. Das vermeidet Frust auf allen Seiten. Andersherum sollte man in der Mittagspause seine Aufmerksamkeit auf die Pause lenken: sich bei den Kollegen zur Pause abmelden und den Profilstatus auf „nicht verfügbar“ stellen.

SN: Soll man denn zu Hause so eine richtige formale Pause machen?

Ina Echterhof: Ja, unbedingt! Abwechslungsreiche Erholung ist sehr wichtig. Es geht nicht nur darum, durch Pausen leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen. Eine Pause kann man bewusst geniessen. Wann eine Pause dran ist, können wir gut an uns selbst beobachten: Lässt meine Konzentration nach? Spüre ich eine körperliche Unruhe? Zu einer Pause sollte man den Arbeitsplatz auch physisch verlassen, um den Kopf freizubekommen und dem Körper Bewegung zu gönnen.

SN: …also richtig rausgehen?

Ina Echterhof: Das wäre gut! Beispielsweise in den Garten oder auf den Balkon. Ein paar Schritte gehen, etwas Sonne tanken, frische Luft, das Frühlingsgrün genießen, mit dem Nachbarn quer über die Strasse schnacken. Selbst Staubsaugen kann eine gute Pause sein.

Pause = Abwechslung

Ina Echterhof: Am besten wirkt eine Pause, wenn wir etwas Anderes machen als vorher. Damit schaffen wir einen Ausgleich. Wenn man aus einer anstrengenden Telefonkonferenz kommt, ist es erholsam, alleine eine Runde um den Block zu drehen. Hat man zwei Stunden an einer schwierigen Einzelaufgabe gesessen, könnte man beim Blick ins Grüne mit einer Freundin telefonieren.

SN: Unterbricht man da nicht die Freundin bei deren Homeoffice-Arbeit?

Ina Echterhof: Das wäre natürlich suboptimal. Meine Empfehlung ist, solche virtuellen „Pausentreffen“ früh zu verabreden – gern auch mit Kollegen und Kolleginnen, mit denen man im Büro gern seinen Kaffee oder Tee getrunken hat. Das kann man digital ganz genauso machen. Sowas strukturiert den Tag, schafft Vorfreude und der soziale Austausch wird weiterhin gepflegt.

SN: Ist das nicht umständlich?

Ina Echterhof: Sind wir sowas in Zeiten von WhatsApp & Co nicht gewohnt? Und es lohnt sich. Wir Menschen verarbeiten Bilder viel schneller als Worte. Ein Stirnrunzeln oder Nicken vermittelt einfach viel mehr. Wir müssen heute aktiv dafür sorgen, das ein Verständnis füreinander entsteht. Das gilt erst recht für die dienstlichen Konferenzen. Wenn komplexe Inhalte zu besprechen sind oder Missverständnisse drohen, sollten wir so viele Wahrnehmungskanäle wie möglich nutzen. Also wenn’s geht Video, oder zumindest Telefon anstelle von endlosen Mails oder Chats.

Den Zusammenhalt stärken

SN: Ja, Missverständnisse bei Mails oder WhatsApp-Nachrichten – sowas hat jeder schon erlebt!

Ina Echterhof: Genau! Deshalb kommt es auch in den jetzigen Stresssituationen darauf an, nicht nachlässig zu formulieren, sondern höflich zu sein, in ganzen Sätzen zu schreiben und eine wertschätzende Sprache zu benutzen. Es ist gut, Dank auch mal konkret auszusprechen oder zumindest mit Emojis eine positive Färbung hineinzubringen. Viele sind derzeit sehr angespannt, wegen der ganzen Unsicherheiten zu Zeiten von Corona. Deshalb ist der Zusammenhalt und die gegenseitige Stärkung so wichtig!

SN: Was sollte man da tun?

Ina Echterhof: Wir können bewusst darauf achten: Ist der Kollege im Stress und gereizt? Hat er vielleicht kleine Kinder zuhause rumturnen? Macht sich die Kollegin Sorgen um ihre Mutter? Oder hat selbst Angst um Ihre Gesundheit und/oder den Arbeitsplatz? Wir können die Belastungen besser bewältigen, wenn wir füreinander da sind. Wettbewerbsverhalten und Ellenbogen, dafür ist jetzt nicht die Zeit. Stattdessen ist es gut, ein offenes Ohr füreinander zu haben: Wer hat gerade einen Durchhänger und braucht Aufmunterung? Von welchem stilleren Kollegen haben wir länger nichts gehört? Und nicht zuletzt: Anerkennung tut jedem gut. Deshalb nicht an Komplimenten für gute Arbeit sparen. Auch Humor ist ein wichtiges Mittel, um Anspannungen zu lösen.

Den Körper nicht vergessen

Ina Echterhof: Im Homeoffice ist fast alles digitalisiert. Auch im Büro hat man am PC Berichte, Präsentationen oder Angebote bearbeitet, aber im Homeoffic sind ja zusätzlich Besprechungen, Nachfragen und sogar Pausengespräche virtuell. Dabei wird des Körper meist vernachlässigt.

SN: Sitzt man denn nicht entspannter und gemütlicher, wenn man alleine im Homeoffice arbeitet?

Ina Echterhof: Die Frage ist, wie diese gemütliche Körperhaltung aussieht… Ein runder Rücken, die Schultern nach vorne gebeugt, eingefallene Brust, den Kopf wie beim Geier vor dem Hals hängend … da ist Verspannung garantiert. Das kann auch sehr ungünstige Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung und Gedanken haben, was in vielen Studien zum Einfluss der Körperhaltung auf Emotionen nachgewiesen wurde.

SN: Also meinst du, auch im Wohnzimmer vor dem Laptop Haltung annehmen?

Ina Echterhof: Ja, aber nicht, indem wir einen steifen Rücken machen, sondern aufrecht und aktiv sitzen – als würde der Kopf an einem Marionettenfaden direkt über dem Hals schweben. Das sorgt auch für eine wache geistige Haltung. Digitale Arbeit ist Denkarbeit, und der Kopf hat in unserer Gesellschaft einen sehr hohen Stellenwert – aber wir sollten nicht Gefahr laufen, uns von unserem Körper zu entfremden. Kopf und Körper lassen sich nicht trennen.

SN: Was sollte man deiner Meinung nach denn da ergänzen?

Ina Echterhof: Unbedingt Bewegung: also regelmäßig kurz aufstehen und gehen, beim Telefonieren oder zur Kaffeemaschine. Und Spüren: in Gedanken durch den Körper gehen. Wie fühlen sich die Beine gerade an? Wie ist meine Atmung? Geschmack und Geruch bewusst wahrnehmen. Keinesfall am PC nebenbei etwas in sich hineinstopfen, sondern das Essen riechend und schmeckend geniessen. Etwas mit unserem Körper tun und ihn gleichzeitig erleben.

SN: Weißt du, welches Bild ich gerade hatte? Dass wir in den digitalen Corona-Zeiten aufpassen müssen, nicht zu einem Fortsatz unseres Computers zu werden, sondern ein lebendiger und körperlicher Mensch zu bleiben.

Ina Echterhof: Ja, stimmt. Corona bietet uns auch eine Gelegenheit zu entschleunigen und unseren Konsum und die bisherige Lebensweise zu hinterfragen. Für was leben wir eigentlich? Und was für ein Umfeld möchten wir unser Zuhause nennen? Jede Krise ist eine Chance, Sinn zu hinterfragen und Sinn neu zu suchen.

SN: Vielen Dank, Ina!

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Sabine Neugebauer
Von Sabine Neugebauer

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