Diversität in Teams – kein Selbstläufer

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Jung und alt, männlich, weiblich und divers, alter Hase und Quereinsteiger, deutsch-, chinesisch- und türkischstämmig: eine diverse Zusammensetzung gilt als Vorteil für Organisationen und Teams. Wodurch kommt das zustande?

Ergänzende Sichtweisen

Die unterschiedlichen Perspektiven verhindern blinde Flecken. Viele Augen sehen mehr und anderes als zwei Augen, gerade wenn die Menschen andere Lebenserfahrungen haben. Zugleich bildet sich dadurch eine Lernumgebung für offene Wahrnehmung und Empathie: Wer es gewohnt ist, aus den Sichtweisen anderer z. B. im Projekt die eigene Betrachtungsweise zu relativieren, der lernt auch leichter, die Kundenperspektive einzunehmen und dort Verständnis zu zeigen

Unterschiedliche Stärken

Prägungen durch Kultur und Erziehung fördern unterschiedliche Stärken. Die traditionelle (westliche) Erziehung setzt bei Frauen und Männern andere Schwerpunkte. Männer lernen meist besser, sich gegen Konkurrenz zu behaupten und sind auf der Sachebene zuhause. Frauen erwerben häufig mehr kommunikative Fähigkeiten und legen ihren Fokus auf die Beziehungsebene. In einem gemischten Team sind alle diese Stärken vorhanden, wenn sie gebraucht werden, die toughe Selbstbehauptung genauso wie das verständnisvolle Zuhören.

Menschen aus dem asiatischen Raum bringen oft eine wahre Meisterschaft mit, was Gesichtswahrung betrifft. Kolleg:innen aus Lateinamerika wiederum können mit emotionalem Temperament manch starre Situation aufbrechen und wieder zugänglich machen. Welch ein großes Reservoir an Stärken steht einem diversen Team zur Verfügung!

Breite Basis an Ressourcen

Langjährig Beschäftigte können einen breiten Erfahrungsschatz einbringen. Sie kennen die Historie von manch unverständlicher Struktur. Ihr Wissen um die Firmengeschichte kann verhindern helfen, dass Fehler wiederholt werden. Junge Kolleg:innen bringen oft Neugier und Offenheit mit. Sie können die „dummen“ Fragen stellen, das Selbstverständliche zur Diskussion stellen und damit Verbesserungen anstoßen.

6 Personen unterschiedlicher Hautfarbe, Alter und Geschlecht stehen um eine Erdkugel
© OpenClipart-Vectors, Pixabay-Lizenz 2022

Egal welche Anforderungen die Arbeitssituation stellt: irgendjemand aus einem gemischten Team wird die passenden Kompetenzen mitbringen. Diverse Teams haben eindeutig das größere Potenzial – theoretisch zumindest.

Sozialpsychologie: Zusammenhalt nach Ähnlichkeit

In der Praxis kommt dieses Potenzial nicht so leicht zum Tragen, denn Menschen suchen automatisch den Kontakt mit möglichst Ähnlichen. Ist das ein Erbe der Steinzeit, wo der Zusammenhalt der Familienhorde das Überleben sicherte? Wir alle tragen diesen unbewussten Automatismus mit uns.

Ähnlich macht sympathisch

Wenn das Gegenüber Ähnlichkeiten aufweist, fühlen wir uns gleich vertrauter. Wir nehmen jede Möglichkeit nach Übereinstimmung gerne an:

  • gleiche soziale Schicht
  • gleiche Generation/Lebensphase
  • gleiche (Sub-)Kultur
  • gleiche Hobbys bis hin zum gleichen Lieblingsverein.

Ähnlichkeit erleichtert den Zugang. Wir verstehen das Gegenüber, sind uns in vielen Fragen schnell einig – was für die Firma, unternehmerisch gedacht, gar nicht das Optimale ist! Aber es bringt uns eine bewusste und unbewusste Verstärkung. Wir machen positive Erlebnisse: „Ja, du siehst die Welt genauso wie ich!“ Diese gute Stimmung überträgt sich auf die andere Person, die sympathischer wahrgenommen wird. Was uns auch zukünftig ihre Nähe suchen lässt…

Gewohnt gibt Sicherheit

Ähnliche Menschen können leichter Verständnis füreinander entwickeln, weil sie Erfahrungen teilen. Ihre Ansichten und Reaktionen sind erwartbarer. Obwohl neue, gar fremde Sichtweisen eigentlich interessanter sein müssten, verunsichern sie uns leicht und wir ziehen das Gewohnte vor.

Ich selbst kann mich an etliche Augenblicke eines solchen „Fremdelns“ erinnern: Bei einem Geschäftsessen drehte sich die Diskussion um renommierte toskanische Güter für Olivenöl und um spezielle Whiskeysorten. Wenn es wenigstens Bordeaux gewesen wäre! Oder in einer Seminarrunde stellte sich ein junger Teilnehmer (schwarz gekleidet, Glatze, Springerstiefel) mit einem Hobby namens Paintball vor, was mir wie eine militärische Übung vorkam. Später suchte ich das Gespräch und wurde über das Spiel aufgeklärt, und der Teilnehmer war auch nicht rechtsradikal. Vorher jedoch konnte ich spüren, wie mich „das Fremde“ abschreckte.

Fragen Sie sich doch einmal selbst, wie oft Sie Gespräche suchen mit Menschen, die fremd und ganz anders sind?

Grüppchenbildung stärkt Vorurteile

Was passiert aufgrund dieser Tendenzen, wenn eine divers zusammengesetzte Gruppe zusammenkommt? Die Menschen wenden sich den ihnen ähnlichen Personen zu. Die „alten Hasen“ arbeiten gern miteinander, ebenso die jungen Beschäftigten. Die Frauen bilden Grüppchen, die Männer Seilschaften. Mitarbeitende mit anderen Standorten, gar aus anderen Ländern, vertiefen den Kontakt mit ihresgleichen und nicht den Austausch mit „den anderen“.

Je mehr sich die Kommunikation in Subgruppen konzentriert, desto eher können Vorurteile gedeihen. Untersuchungen seit den 1940er Jahren, zusammengefasst in neueren Meta-Analysen (2006, 2015) zeigten einen Zusammenhang zwischen fehlenden Kontakten und negativen Vorurteilen.

Je mehr man unter seinesgleichen bleibt, desto negativer sind die Einstellungen zu den „anderen“. Umgekehrt führt Kontakt zwischen Subgruppen zu einem Abbau von Vorurteilen und einem besseren Verständnis untereinander.

Potenzial gemischter Teams nur bei guter Kommunikation wirksam

Was heißt das für die Arbeitswelt? Wenn man Teams divers zusammensetzt, wenn Projekte standort- und vielleicht sogar kulturübergreifend zusammenarbeiten, dann ist das kein Selbstläufer.

Statt ihr Potenzial zu entfalten, können solche Gruppen in Subgruppen auseinanderdriften, die nebeneinander her oder schlimmstenfalls gegeneinander arbeiten. Das gilt es zu beobachten und gegenzusteuern. Aber am besten wäre es, schon gleich zu Anfang vorzubeugen.

Ansatzhebel Kontakt

Das A und O ist der Kontakt, also das miteinander Reden und Arbeiten. Reicht es aus, wenn Führungskräfte so etwas anregen? Wahrscheinlich ist es notwendig, auch regelmäßig mit einem gemischten Team zu reflektieren, welche Kommunikationsmuster denn tatsächlich gelebt werden. Kontakt, also jemand eher Fremdes wirklich wahrnehmen und an sich heranlassen, das kann man nicht anordnen. Dafür zu werben und es auch vorzuleben wäre eine wichtige Führungsaufgabe.

Interessant sind auch zwei Forschungsergebnisse zum Intergruppenkontakt, die positive Wirkmechanismen verdeutlichen, die auch im Unternehmen nützlich sind:

Generalisierung

Pettigrew (1997) konnte zeigen, dass Kontakt von deutschen Versuchspersonen ohne Migrationshintergrund zu türkischen Migrant:innen auch die Vorbehalte gegenüber Menschen mit nordafrikanischem Hintergrund verringerte. Das Lernen über andere Anschauungen, Lebenswelten und der damit verbundene Abbau von Unsicherheit generalisiert über die eine Gruppe von „Anderen“ hinaus. Diese Erweiterung des eigenen Horizonts wurde als „Deprovinzialisierung“ bezeichnet.

Im Unternehmen besteht also die Chance, dass gute Lernerfahrungen zwischen verschiedenen Subgruppen sich ausweiten und eine Kultur der Offenheit wachsen kann.

Modelllernen und Konsonanzeffekt

Mehrere Studien haben belegt, dass auch indirekter Kontakt wirkt. Seit Bandura kennen wir das Lernen am Modell, was hier zu beobachten ist. Beispielsweise zeigten Mazziotta u.a. (2011), dass die Einstellung und Zusammenarbeitsbereitschaft stieg, wenn Videos der Interaktion von zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft (deutsch und asiatisch) angeschaut wurden.

Wenn persönlich bekannte Personen in einem Projekt mit „fremden“ Subgruppen arbeiten, z. B. eine Lieblingskollegin mit indischen Beschäftigten, dann verbessert das auch die eigene Einstellung und baut Denkschranken ab. Hier kann die Dissonanztheorie erklären, wie Menschen kognitive Widersprüche durch Umbewertungen abbauen: Wenn meine Lieblingskollegin gut mit den indischen Partnern zusammenarbeitet, dann fällt es schwer, diese negativ einzuschätzen, und ich ändere meine Einstellung.

Für den betrieblichen Alltag lässt sich daraus ableiten, dass gelungene Kooperation unter verschiedenen Subgruppen sichtbar gemacht, besprochen und erzählt werden sollte.

Anregungen für die Praxis

Reflexion als Standard TOP

In einem gemischt zusammengesetzten Team sollte in Meetings regelmäßig die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Beschäftigten besprochen werden, und zwar ressourcen- und lösungsorientiert. Die Führungskraft kann das Ziel setzen, die vorhandene Vielfalt möglichst gut zu nutzen und nach Rückmeldungen fragen, wo das gelungen ist. Das ermutigt auch die eher zurückhaltenden Kolleg:innen, sich an die „Anderen“ heranzutrauen. Daneben wird das Repertoire der Gruppe erweitert, wie mit Missverständnissen und Fehlabstimmungen konstruktiv umgegangen werden kann.

Kommunikativ offene Teammitglieder sollten unbedingt die Leitung unterstützen, so dass die Teamkultur sich von einer kuscheligen „wir unter uns“-Stimmung zu einem offenen Miteinander entwickelt.

Verbindungen herstellen

Neben aller Diversität gibt es ganz viele Übereinstimmungen, die nicht so offen liegen, weil sie vielleicht nicht die Arbeitsebene betreffen. So etwas kurz anzusprechen, kann Missstimmungen auflösen und Verbundenheit stärken, so dass die Zusammenarbeit vertieft wird.

Beispiele: Der junge Vater kommt wegen geschlossener Kita mit seinem Arbeitsanteil nicht so voran – die ältere Kollegin, zuerst ärgerlich, wird nach Tipps gefragt, wie sie mit Engpässen bei der Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter umgegangen ist. Gemeinsames verbindet! Das Projektteam in Deutschland muss wegen einer Videoschalte nach Shanghai morgens um 6 Uhr online sein – man steigt ein mit einem kurzen Austausch darüber, wie man in Deutschland und China morgens für Wachheit sorgt. Doppelter Espresso und Schattenboxen, so kann man gemeinsam lachen.

Persönliches und Positives

Das Potenzial diverser Teams zum Leben zu erwecken, das verlangt allen Beteiligten etwas ab. Als wichtiger Kraftgeber können positive und persönliche Aspekte dienen. Doch die werden leicht vergessen und von einer ansteckenden Jammerkultur verdrängt.

In Belastungssituationen hilft es immer, wenn der andere nicht als Problem, sondern als Mensch wahrnehmbar ist. Gerade bei Zusammenarbeit auf Distanz ist das nicht selbstverständlich.

Wenn etwas gut gelaufen ist, kann hinterfragt werden, wie gerade die Unterschiedlichkeit dazu beigetragen hat. Vielleicht hat der als kleinkariert berüchtigte ältere Kollege einen vertrackten Fehler entdeckt, und die neue Quereinsteigerin hat einen kreativen Lösungsvorschlag eingebracht, was zusammen dazu führte, ein Problem für das ganze Team abzuwenden.

Vielleicht gibt es auch gute Role Models für den Umgang mit Diversität in Ihrem Team? Am besten gleich die Führungskraft, die als Vorbild agiert, Unterschiede zu schätzen weiß und sich aus ihrem Dunstkreis immer wieder hinauswagt.

Literatur: Issmer, Kauff: Intergruppenkontakt im Kontext Schule, Report Psychologie 01/2022, daraus entnommen: Lemmer, Wagner (2015),  Mazziotta u.a. (2011), Pettygrew (1997), Pettygrew, Tropp (2006),

Über den Autor

Sabine Neugebauer

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