Arbeitszeitflexibilisierung – Leichter gesagt als getan

A

Die positiven Effekte einer flexibilisierten Arbeitszeit sind inzwischen wissenschaftlich gut untersucht. Flexible Arbeitszeitmodelle führen zu zufriedeneren Mitarbeitern, einer höheren Produktivität, einer geringeren Fluktuation und einer höheren Lebensqualität der Mitarbeiter. Kein Wunder also, dass es vielen Unternehmen daran gelegen ist, zumindest einen gewissen Grad an Flexibilisierung auch im eigenen Haus umzusetzen.

Flexible Arbeitszeit

Die beiden Extreme der Arbeitszeitmodelle sind dabei ungefähr gleich stark vertreten. 28% der deutschen Unternehmen geben an, keinerlei Arbeitszeitflexibilisierung für ihre Mitarbeiter anzubieten, während  bereits 30% der deutschen Unternehmen zumindest für einen Teil ihrer Mitarbeiter Vertrauensarbeitszeit eingeführt haben. Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass es keinerlei Zeiterfassung, keine Pflicht-Anwesenheitszeit und keine Kontrolle durch Vorgesetzte gibt. Der Mitarbeiter ist für die Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten innerhalb des vertraglich vereinbarten Arbeitszeitrahmens selbst verantwortlich. In der weitesten Form gestehen Unternehmen ihren Mitarbeitern auch völlig flexible Urlaubstage zu. Dies ist häufiger in kleineren Betrieben und in erster Linie in moderneren, jungen Branchen, wie beispielsweise Medien- oder Kommunikationsagenturen zu finden.

Völlige Arbeitszeitflexibilisierung – Ein Praxisbeispiel

Die Idee einer völligen Flexibilisierung von Arbeitszeit und Urlaubstagen wird zurzeit auch in einer Düsseldorfer Kommunikationsagentur eingeführt und umgesetzt. Das Projekt konnte von Studierenden mit einer ersten Zwischenevaluation begleitet werden. Im Detail hatte die Geschäftsführung der Agentur entschieden, keinerlei Arbeitszeitkontrollen mehr durchzuführen und den Mitarbeitern freie Hand zu lassen, wann und vor allem auch wo sie arbeiten wollten. Lediglich innerhalb der Teams musste abgesprochen werden, wann sich alle Kollegen beispielsweise zu Teammeetings zusammenfinden sollten. Alle anderen Regeln, die es vorher gab, wurden abgeschafft. Die Mitarbeiter mussten sich nicht mehr für Arztbesuche entschuldigen, konnten von zu Hause arbeiten, wenn ein Handwerker erwartet wurde und hatten zudem völlige Freiheit über ihre Urlaubsplanung. Natürlich musste diese immer noch in Absprache mit dem Team erfolgen, so dass nicht alle Teammitglieder gleichzeitig abwesend waren, aber neben diesem einzigen Koordinierungsaufwand konnten die Mitarbeiter selbst entscheiden, wann und wie lange sie Urlaub machen wollten. Die Festlegung von einer bestimmten Anzahl Urlaubstage wurde aufgelöst, und zudem die Möglichkeit von längeren Sabbaticals eingeräumt. Die Verantwortung über das Arbeitszeitmanagement und die Urlaubsplanung wurde komplett den Mitarbeitern und ihren Teams überlassen. Die Geschäftsführung hielt sich aus allen Anfragen und Planungen heraus.

Eingeführt wurde das neue Arbeitszeitmodell Anfang 2018. Zum Zeitpunkt der Zwischenevaluation im November 2018 war noch kein ganzes Jahr vergangen. Dennoch würde der Zeitraum von ca. 10 Monaten einen ersten Einblick bieten können, wie die Arbeitszeitflexibilisierung aufgenommen und genutzt wurde. Die Befragung zeigte ein klares Bild. Alle Mitarbeiter hielten die Arbeitszeitflexibilisierung für einen großen Gewinn und bewerteten sie durchgehend positiv. Auf die Frage, inwiefern die flexiblen Angebote auch genutzt wurden, waren die Antworten jedoch deutlich zurückhaltender. Sowohl die Möglichkeiten, unkompliziert im Homeoffice zu arbeiten, als auch selbst zu entscheiden, wann morgens mit der Arbeit begonnen und abends der Feierabend eingeläutet wird, wurden kaum genutzt. Die Mitarbeiter gaben an, dass sich zu den vorherigen Strukturen mit Kernarbeitszeiten und einem festgelegten Büroarbeitsplatz kaum Änderungen ergeben haben. Auch die Flexibilisierung der Urlaubsplanung wurde nur sehr zögerlich angenommen. Im Evaluationsgespräch mit der Geschäftsführung wurde ebenfalls erwähnt, dass viele Mitarbeiter sich nach wie vor für längere Mittagspausen, frühere Feierabende aufgrund privater Termine oder Homeofficetage bei der der Geschäftsführung abmeldeten. Die Umsetzung der Vertrauensarbeitszeit ist nach 10 Monaten also noch nicht in den Köpfen der Mitarbeiter und im Alltag der Agentur angekommen.

Was können mögliche Gründe dafür sein?

Zum einen wurde bei der Einführung des neuen Arbeitszeitmodells ein wichtiger Schritt übersprungen, der auch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) empfohlen wird: Die Mitarbeiter sollen frühzeitig in die Planungen einer solch umfassenden Änderung mit einbezogen werden. Stattdessen wurde das neue Arbeitszeitmodell vom Geschäftsführer der Agentur quasi im Alleingang und über die Köpfe aller hinweg entschieden. Die Probleme oder Hürden, die sich durch das neue Modell ergaben, wurden nicht im Vorfeld besprochen, sondern erst im Laufe der Zeit erkannt und aus dem Weg geräumt. Sicherlich hätte eine Beteiligung der Mitarbeiter an der Umstrukturierung zu einer höheren Akzeptanz führen können.

Zum anderen ist der Zeitraum, der seit der Einführung des neuen Arbeitszeitmodells vergangen ist, noch nicht sehr lang. Menschen brauchen Routinen, gerade im Arbeitsalltag, um kognitive Ressourcen für herausfordernde Aufgaben frei zu haben. Wenn wir jeden Morgen erst entscheiden müssen, wann und wo wir arbeiten wollen und wen wir darüber informieren müssen, dann kann es oft einfacher sein, den gewohnten Arbeitsalltag beizubehalten und pünktlich um 9 Uhr auf unserem angestammten Arbeitsplatz im Büro zu erscheinen. Neue Routinen, zum Beispiel das Arbeiten von zu Hause, oder ein späterer Arbeitsbeginn, müssen sich erst entwickeln und als standardisiertes Programm abgespeichert werden. Das kann durchaus mehr Zeit als ein knappes Jahr in Anspruch nehmen.

Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, in Ihrem Unternehmen eine Änderung der Arbeitszeitstrukturen vorzunehmen, so rechnen Sie damit, dass diese Änderung einiges an Zeit in Anspruch nehmen und die Umsetzung relativ langsam erfolgen wird. Zudem sollten Sie frühzeitig die Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Mitarbeiter in Erfahrung bringen, um nicht an ihnen vorbei zu planen. Und es muss ja auch nicht gleich die Vertrauensarbeitszeit sein. Welche anderen Möglichkeiten es gibt, die Arbeitszeit in Ihrem Unternehmen zu flexibilisieren, darüber gibt der Artikel von Nora Walter eine gute Übersicht.

Über den Autor

Prof. Dr. Magdalena Bathen-Gabriel

Neueste Beiträge

Neueste Kommentare

Archiv

Kategorien

Schlagwörter