Agiles Management – Interview mit einer Unternehmensberaterin

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Dr. Margit Sarstedt, promovierte Physikerin, hat in ihrer langjährigen Managementerfahrung in der produzierenden Industrie im In- und Ausland viele Managementmethoden aktiv erlebt. Sie hat uns in diesem Interview ihre – teils positive, teils kritische – Sichtweise auf das agile Management vermittelt.

Dr. Margit Sarstedt
© Dr. Margit Sarstedt

Sabine Neugebauer (SN): Frau Sarstedt, auf Ihrer Homepage schreiben Sie: „Ich werfe unpassende Methoden über Bord, auch wenn sie modern sind.“ Was meinen Sie zu dem Hype um Agilität?

Sie sagen es ganz richtig, das Agile Management – ‚Agile‘ – ist ein Hype. Im Verlauf der letzten sieben Jahrzehnte kamen in der sich entwickelnden Wirtschaftswelt immer wieder neue Methoden auf den Markt. Wir haben das Lean Management erlebt, das Toyota System und Kaizen, es kamen Begrifflichkeiten wie flache Hierarchie, Reengineering, 5S und 6-Sigma auf – um nur mal einige zu nennen. Die Modeerscheinung des Agilen Managements reiht sich da ein.

Wichtig ist zu verstehen, dass jede dieser Methoden – also auch Agile – viele gute Ansätze in sich trägt und die Wirtschaft im Laufe der Zeit tatsächlich vorangebracht hat. Richtig ist jedoch auch, dass der jeweilige Hype einen ganzen Wirtschaftszweig – ich rede vom Trainings- und Consultingbereich – gut versorgt und mit immer neuen Aufträgen ausstattet. Auch in diesem Punkt stellt Agile keine Ausnahme dar, der Markt mit Büchern, Kursen und Beratungen zu dem Thema blüht. Schaut man genauer hin, so erkennt man, dass trotz all dieses Hypes die Kernpunkte von Agile oft missverstanden werden und das Wort häufig einfach im Sinne von ‚flexibel‘ verwendet wird, oder alternativ der Aspekt eines vermeintlichen ‚ohne Hierarchie‘ in den Vordergrund gerückt wird.

Trotz all dieses Hypes (werden) die Kernpunkte von Agile oft missverstanden.

(SN): In diesem undifferenzierten Verständnis von agilen Methoden, welche Mythen werden da über „die Wirtschaft“ verbreitet, die so nicht stimmen?

Um eine neue Methode zu propagieren und kommerziell zu verbreiten, braucht es eine Storyline, eine Geschichte, in der die Notwendigkeit für einen Wechsel zu Neuem begründet wird. In früheren Fällen des Aufkommens neuer Methoden war dies häufig die Aussicht, die bisher schon verfolgten Ziele mit der neuen Methode noch besser erreichen zu können. Im Falle von Agile ist nun auffällig, dass der neue Ansatz aus einem angeblich schlechten Ist-Zustand heraus begründet wird. Das ist aus meiner Sicht sehr schade, denn jede neue Methode bringt immer interessante neue Managementaspekte mit sich, über die es sich nachzudenken lohnt. Die bis dato verwendeten Methoden könnten dabei sehr gut respektvoll und angemessen honoriert werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die im Agile Umfeld häufig verwendete Storyline über den Ist-Zustand nicht unbedingt immer korrekt ist – Ihr Begriff des Mythos gefällt mir hier sehr gut – und damit die Methode auf Basis falscher Annahmen propagiert. – Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel. Im Agile Umfeld wird betont, dass die Arbeitsaufgaben nicht mehr hierarchisch von oben nach unten angewiesen werden, sondern die jeweiligen Arbeitsteams in Selbstorganisation ein größeres Themengebiet gestalten und verantworten. Das hört sich gut an, denn welcher Mitarbeiter will heutzutage schon ohne eigene Freiheiten nur gesagt bekommen, was er zu tun hat. Schaut man jedoch genauer hin, so muss man konstatieren, dass diese angeblich neue Art des Arbeitens in sehr vielen Unternehmen schon lange selbstverständlich ist.

Diese angeblich neue Art des Arbeitens ist in sehr vielen Unternehmen schon lange selbstverständlich.

Die Zeiten der detaillierten Arbeitsstrukturierung durch den Vorgesetzten sind in den meisten Unternehmen sehr lange schon vorbei. Die heutigen Manager sind weit davon entfernt, die zu erledigende Arbeit kleinteilig vorzugeben. (Man könnte vielleicht sogar sagen, dass das Pendel zu weit schon ausgeschlagen hat und auch eine notwendige grobe Strukturierung der Ziele und Umsetzungswege in dem ein oder anderen Fall nicht mehr stattfindet.)

Warum also einen solchen Mythos kreieren? Meine persönliche Vermutung ist – aber das ist natürlich Spekulation – dass man hier junge Menschen ansprechen will, die sich naturgemäß nach Freiheit sehnen und noch nicht wissen, dass sie in vielen modernen Unternehmen nicht nur eigenverantwortlich agieren dürfen, sondern es geradezu müssen. Statt einen Mythos zu generieren sollte man besser einen differenzierten Blick auf Agile werfen und die tatsächlich neuen Ideen dieses Ansatzes herausarbeiten.

…dass sie in vielen modernen Unternehmen nicht nur eigenverantwortlich agieren dürfen, sondern es geradezu müssen.

SN: Jenseits des Hype: Was sind nützliche agile Prinzipien? Wo können sie sinnvoll angewendet werden? Haben Sie ein praktisches Beispiel, wo agiles Arbeiten gut angewendet wurde?

 Ich würde vor allem das Prinzip der Akzeptanz sich ständig ändernder Grundbedingungen und die flexible Reaktion auf Änderungen in den Zielsetzungen als wichtig ansehen. Auch dies ist in vielen Firmen der normale Arbeitsalltag, jedoch bieten die Agile Methoden ein geordnetes Vorgehen an, damit umzugehen. Wichtig erscheint mir dabei jedoch der Hinweis, dass die Größenordnung der Akzeptanz von Änderungswünschen branchenabhängig ist und durchaus im Vorfeld besprochen und festgelegt werden sollte.

An dieser Stelle bietet sich noch der Hinweis an, dass es wünschenswert wäre, die Methoden des Agilen Managements an die Bedürfnisse der Wirtschaft außerhalb des engen Korridors der Softwareentwicklung anzupassen. Dazu müsste durchdacht werden, wie die strikte Taktung der zwei bis vier Wochenabschnitte an andere Umfelder (zum Beispiel im Maschinenbau) methodisch adaptiert werden kann, ohne die Vorteile der Grundideen zu verlieren. Weiterhin müssten Lösungen für die Vertragswerke mit Kunden gefunden werden, die in ihrer heutigen typischen Form nicht einfach in ein voll agiles Umfeld übersetzbar sind.

Zurück zu den Vorteilen der Agilen Methoden. Sehr nützlich ist die Regelmäßigkeit, in der innerhalb eines Teams ein Austausch über den Stand der Arbeiten erfolgt. In den täglichen kurzen Meetings kann sich das Team einen Überblick verschaffen, was bereits erarbeitet wurde und welche Hürden sich eventuell auftun. Der fachliche Austausch wird gefördert und Planänderungen werden für alle Teammitglieder transparent.

Allgemein gesprochen hat Agile seine großen Stärken in der Lösung von Aufgaben in einem komplexem Umfeld. Wenn also die Richtung ungefähr klar ist, das genaue Ziel jedoch noch nicht (Zielgebiet *), wenn die Wege hin zu dem Zielgebiet vielfältig sind und man sich vortasten muss, immer dann sind agile Methoden angesagt. Sind jedoch das Ziel und der Weg dorthin klar (bspw. in dem Dirigieren des Zugverkehrs nach festgelegtem Fahrplan, oder der Lösung einer technologisch höchst anspruchsvollen Fragestellung), so sollten anderen Managementansätzen Vorrang gegeben werden.

Wenn die Wege hin zu dem Zielgebiet vielfältig sind und man sich vortasten muss, immer dann sind agile Methoden angesagt.

SN: Wenn die Modewelle „agil“ abgeebbt ist: Was wünschen Sie sich, was von den Prinzipien erhalten bleiben sollte?

Da möchte ich gerne auf Ihr Eingangszitat aus meiner Homepage verweisen. „Ich werfe unpassende Methoden über Bord, auch wenn sie modern sind.“ Es kann nicht darum gehen, jede neue Methode in einem Unternehmen zu etablieren. Vielmehr müssen angemessene Mittel gefunden und eingesetzt werden, um die anstehenden Fragestellungen erfolgreich anzugehen.

Jedes Unternehmen ist anders, hat sozusagen seine eigene Persönlichkeit. Prägende Einflussfaktoren sind die Branche, die Region, das Alter des Unternehmens und dessen Entwicklungsgeschichte, Umwelteinflüsse, die Erfahrung in der Belegschaft sowie auch Grundsatzüberzeugungen aller Beteiligten. Hinzu kommt, dass es für eine bestimmte Situation oder ein bestimmtes Vorhaben jeweils sehr spezifische Fragestellungen gibt, für die Lösungen gesucht werden. Welche Methode ist nun in einer speziellen und ganz spezifischen Situation ‚die Richtige‘? Diese Frage ist pauschal nicht zu beantworten. Ganz sicher ist Agile ein guter Ansatz für einige Situationen, ganz sicher ist es jedoch auch verkehrt in anderen Fällen. Hier ist der differenzierte Blick des Managements auf die Situation und den verfügbaren Methodenkasten notwendig, um den bestmöglichen Weg zu steuern.

Der differenzierte Blick des Managements auf die Situation und den verfügbaren Methodenkasten (ist) notwendig.

Im Management sollten alle verfügbaren Methoden im Sinne eines Werkzeugkastens bekannt sein, so dass Agile Ansätze genauso wie andere Managementmethoden situationsbezogen in den Arbeitsalltag integriert werden können. Hier gibt es für die Betriebswirtschaft einerseits sowie die Beraterbranche andererseits noch wirkliche Aufgaben in der ausgewogenen Darstellung der unterschiedlichen Ansätze.

SN: Vielen Dank für dieses Interview!

* M. Sarstedt, Das Zielgebiet, 2018. https://www.verigon-consult.com/index.php/beitraege-aktuelles/themenbeitraege/management/das-zielgebiet

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Sabine Neugebauer

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