Vom Glück selbständige Kinder zu haben

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Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“

Nach der Geburt meines ersten Sohnes blieb ich für dreieinhalb Jahre zuhause. In dieser Zeit kam auch mein zweiter Sohn zu Welt und es war fast, als würden wir Zwillinge groß ziehen. Es ist toll, so kleine Menschen heranwachsen zu sehen und zu beobachten, wie sie die Welt im wahrsten Sinne des Wortes nach und nach begreifen. Wir haben viel Glück gehabt mit zwei gesunden, aufgeweckten Kindern. Und obwohl diese ersten Lebensmonate extrem anstrengend waren und es finanziell auch mal knapper wurde, würde ich mich wieder dafür entscheiden, die Kleinkinderbetreuung selbst zu übernehmen.

Degradierung zur „Mutter“

Mein Problem in dieser Zeit waren die Gespräche mit anderen Erwachsenen! Diese Gespräche drehten sich fast vollständig um Kinder; es war schwer das Thema zu wechseln. Ich fragte mich oft, ob ich als Mutter mein Dasein als Individuum aufgegeben musste, um dem gesellschaftlichen Bild der guten Mutter gerecht zu werden. Von kinderlosen Freunden und Bekannten schlug mir häufig das Vorurteil entgegen, ich würde mich nur noch für Kinder interessieren und keine Zeit mehr für meine Freunde haben; dabei war ich jedes Mal sehr froh, wenn etwas Abwechslung in meinen Alltag kam und verabredete mich gern. Ich fragte mich, ob das an den anderen Müttern lag, die das Image der sich aufopfernden Mutter kräftig pflegten. Oder ob meine Freunde sich noch nicht mit dem Thema Kinder auseinandersetzen wollten. Jedenfalls wollte ich nicht auf meine Rolle als Mutter degradiert werden – nur weil ich mich entschieden hatte, für meine Kinder in den ersten Jahren zuhause zu bleiben, statt nebenbei zu arbeiten. Mal davon abgesehen war es in Hamburg damals alles andere als leicht, einen Krippenplatz zu bekommen. Diese Zeit war hart für mich. Manches Mal flüchtete ich aus meiner Mutterrolle in den Sportverein, wo ich die Existenz meiner Kinder verschwieg und so die Freiheiten der Kinderlosen genießen konnte: Gespräche über Dies und Jenes.

Kind, Kinder, Schuhe, Schnürsenkel, Jeans, Felsen

Da ich mit meinen Söhnen noch keine tiefgründigen Gespräche führen konnte – das kam erst später, bauten wir stattdessen gemeinsam Sandburgen mit Autorampen oder Duplo-Bauernhöfe. Meine Jungs übten ihre Schuhe allein anzuziehen und den Löffel in den Mund zu stecken, ohne das halbe Essen auf dem Boden zu verteilen. Sie hatten Erfolg dabei und ich war stolz auf Ihre Fortschritte. Aber ich freute mich, wieder arbeiten zu gehen und nicht mehr nur Mutter zu sein, als meine Söhne mit zwei und dreieinhalb Jahren in den Kindergarten kamen.

Die Zerreißprobe

Zu früh gefreut. Ich vermisste meine Kinder! Und plötzlich drehte sich nur noch alles darum, Familie, Arbeit und Haushalt unter einen Hut zu bekommen. Der Kindergarten machte spät auf und früh zu. Ich hetzte von einer Ecke Hamburgs in die andere und zurück. Wer den Verkehr in Hamburg kennt, kann vermutlich erraten, wie oft ich mit bösen Blicken von der letzten Erzieherin begrüßt wurde – wurde langsam Zeit, dass diese Rabenmutter ihre Kinder abholt. Zum Glück konnten sich die beiden selbst die Schuhe anziehen; so ging es schneller. Ja, wie eine Rabenmutter habe ich mich gefühlt, wenn ich die beiden eingesammelt habe. Ich versuchte es mit langen Gute-Nacht-Geschichten und schönen Ausflügen am Wochenende wieder gut zu machen. Und unter meiner Anleitung übten meine Jungs täglich weiter, die kleinen Dinge des Alltags selbst zu meistern – die Haustür aufzuschließen beispielsweise.

Gibt es aus Sicht unserer Gesellschaft eigentlich eine Möglichkeit für Mütter, die richtige Entscheidung in Bezug auf die Kinderbetreuung zu treffen? Richtig, für Väter ist es heute auch nicht leichter geworden: So schön die Möglichkeit für viele ist, in Elternzeit gehen zu können; aber mit mehr Entscheidungsspielraum nimmt auch der gesellschaftliche Rechtfertigungsdruck zu. Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer mehr Traditionen und Normen aufgeweicht werden und jeder sein eigenes Lebensmodell entwerfen kann. Das ist anstrengend, ermöglicht aber auch viele Freiheiten! Nur werden von anderen so viele Erwartungen an uns gestellt, die zum Teil so widersprüchlich sind, dass wir sie gar nicht erfüllen können. Dabei ist der Auftrag an uns Eltern doch eigentlich eindeutig: Die Kinder zu versorgen, zu begleiten und zu fördern, bis aus ihnen selbständige Erwachsene geworden sind. Und unser Vertrauen in sie und ihre Entwicklung zu setzen. Meine Söhne erinnern sich an das gemütliche Vorlesen. Und ich erinnere mich, wie schön es war, mit ihnen Ausflüge zu machen und Elefanten im Zoo zu füttern. Und an ihre Fortschritte auf dem Weg ins Erwachsenenleben.

Die Schulzeit

Wir zogen nach Aachen und meine Jungs wurden in eine offene Ganztagsschule (OGS) eingeschult. Der Schulweg dauerte keine 3 Minuten; wir hatten eine Wohnung in der Nähe einer Grundschule ergattert. Trotzdem brauchten die beiden oft länger nach Hause – ich konnte aus dem Fenster sehen, wie sie auf dem Weg jeden Stein und jeden Grashalm genau untersuchten. Ich gönnte mir eine Auszeit, bevor ich mir wieder Arbeit in Teilzeit suchte, die sich keine 15 Minuten Fußweg von zuhause befand – die Vorteile einer kleinen Großstadt. Die Zerreißprobe aus der Kindergartenzeit wollte ich nicht wiederholen, auch wenn meine Söhne immer selbständiger wurden und schon allein nach Hause oder zum Spielplatz gingen.

Bald stellten wir fest, was für ein Stress Schule bedeuten kann. Wieder waren es andere Erwachsene mit großen Erwartungen, wie Jungen zu sein und sich Eltern zu verhalten haben. Einige Mütter begleiteten ihre Kinder noch in der vierten Klasse die täglichen 800 m zum Schultor. Andere zwangen die OGS-Leitung zum Gehen, weil diese es gewagt hatte, den Sack Flöhe joggend über den Schulhof zu scheuchen, nachdem die Kinder den ganzen Vormittag wegen Regen nicht raus konnten und zu unruhig waren, um Hausaufgaben zu machen. Es gab Lehrerinnen, die schlechte Noten verteilten, wenn jemand gute, aber aus ihrer Sicht zu kritische Fragen stellte. Lehrer, die kein Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Schüler hatten – und vielleicht auch nicht in ihre eigenen. Und zum Glück gab es auch sehr gute Lehrer und Lehrerinnen, die ein Auge für ihre Schüler hatten und ihnen Dinge zutrauten: Ihnen etwas beibrachten. Wieder forderte und förderte ich meine Söhne mit unzähligen Mathepäckchen (Rechenaufgaben zum Üben), weil ich wusste, dass Kompetenzen in der Schule heute zwar Großgeschrieben werden, das Üben aber häufig zu kurz kommt.

Alles in Allem kamen wir in dieser Zeit sehr gut zurecht. Meine Arbeit ließ sich gut mit ihrem Schülerdasein kombinieren. Das lag aber auch daran, dass wir zuhause inzwischen eine gute Arbeitsteilung hatten: Jeder machte nach Möglichkeit und Können mit. Nach und nach begannen sie zu kochen und lernten die Waschmaschine zu bedienen. Eines Tages kam mein 14jähriger Sohn vom Gymnasium nach Hause und umarmte mich direkt an der Tür: „Mama, ich bin so froh, dass ich von Dir zur Selbständigkeit erzogen werde! Ich darf mir die Schuhe allein zubinden.“ Ich war etwas verwundert, aber dann erzählte er mir, dass ein Klassenkamerad selbst in der neunten Klasse nirgends allein hinfahren darf. „Und er hat noch nie im Leben selbst gekocht. Nicht mal Nudeln!“. Während meines Studiums haben mich beide tatkräftig im Haushalt unterstützt und Verantwortung übernommen – eine Riesenerleichterung! Eine besondere Herausforderung für uns alle war dann nochmal die Oberstufe mit G8. Die Stundenpläne waren so voll, dass meinen Jungs kaum Freizeit blieb: Es blieb nur Zeit fürs Funktionieren. Und ich hielt ihnen selbstverständlich den Rücken frei.

Erwachsen

Meine Söhne studieren inzwischen beide. Ziel erreicht: Sie sind erwachsen und selbständig geworden und sind nicht mehr auf mich angewiesen. Das ist ein tolles Gefühl. Wir sind füreinander da, wenn wir uns brauchen, treffen aber unsere eigenen Entscheidungen. Wir begegnen uns nun als Erwachsene auf Augenhöhe.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine große Herausforderung – besonders wenn man finanziell auf Arbeit angewiesen ist oder Probleme mit dem Kindergartenplatz oder der Pendelei hat. Den Kindern etwas zuzutrauen ohne sie zu überfordern ist ein wichtiger Baustein, wenn diese Herausforderung mit mehr Leichtigkeit glücken soll. Wir dürfen unsere Kinder nicht nur als funktionierende Leistungsträger im Klassenraum sehen, die die Erwartungen der Erwachsenen erfüllen. Wir müssen ihnen die Gelegenheit geben zu wachsen.

Über den Autor

Ina Echterhof

M.Sc. Psychologin

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Telefon: 0241/ 56 00 49 51

Von Ina Echterhof

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