BEM aus Gewerkschaftssicht – Interview mit Jürgen Pascha, Gewerkschaftssekretär

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Thema: Betriebliches Eingliederungsmanagement

Jürgen Pascha blickt auf 30 Jahre Erfahrung bei Verdi als Gewerkschaftssekretär für den Bereich Gesundheit und Soziales zurück. Das Thema BEM hat ihn vor allem in den letzten 10 Jahren begleitet.

Jürgen Pascha – Foto: privat
  • Zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement gehört ja nicht nur das BEM-Gespräch, gedacht als Rehabilitierungsansatz von längerfristig erkrankten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch die Prävention und Gesundheitsförderung, die allen zu Gute kommen sollte. Welche Aspekte des BEM spielen Ihrer Erfahrung nach in Unternehmen die größte Rolle?

Das BEM startet, sobald ein Arbeitnehmer 6 Wochen in einem Jahr erkrankt ist, egal ob an einem Stück oder mit Unterbrechungen. Und mit BEM ist hier immer erstmal das BEM-Gespräch gemeint. Für die Arbeitgeber ist das Angebot verpflichtend, für die Arbeitnehmer jedoch freiwillig. Häufig habe ich bei den Arbeitnehmern eine Angsthaltung erlebt. Da waren vor allem Informationen wichtig: Welche Rechtsgrundlagen gibt es, wie kann eine gute Strategie im BEM Gespräch aussehen?

Wichtig ist immer auch, welche Intention der Betrieb verfolgt. Da gibt es einmal die Unternehmen, die BEM als ganzheitlichen Ansatz betrachten, viel für Prävention tun und auch im BEM-Gespräch eine bestmögliche Lösung für die betroffene Person suchen. Genauso gibt es aber auch Unternehmen, die das BEM-Gespräch als Grundlage für eine personenbedingte Kündigung sehen.

Die Gesundheitsfürsorge, also der präventive Teil des BEM, nimmt gottseidank einen immer größeren Teil ein. Zum Beispiel werden gesunde Mahlzeiten in der Kantine, Sportprogramme, oder Gesundheitsschulungen der Krankenkassen angeboten. Die Arbeitgeber haben zunehmend die Erkenntnis, dass Gesundheit wichtig ist. Bestmöglich sollte das Gesamtkonzept in einer Betriebsvereinbarung verankert sein.

  • Wie sinnvoll und hilfreich schätzen Sie das Instrumentarium des Beruflichen Eingliederungsmanagements ein? Gibt es aus Ihrer Sicht Verbesserungspotential?

Das BEM ist eine sehr sinnvolle und wichtige Maßnahme, vor allem auch in Hinblick auf steigende psychische Erkrankungen. Verbesserungspotential sehe ich unter anderem bei ungeschulten Betriebsräten. Es macht einen deutlichen Unterschied, ob man einerseits rechtlich, andererseits aber auch in Gesprächsführung geschult ist, wenn man in ein BEM-Gespräch geht.

Darüber hinaus empfehle ich den Betrieben auch eine eigene Betriebsvereinbarung über das BEM abzuschließen. Die gesetzlichen Vorschriften sind relativ knapp gehalten. Wie das BEM im Unternehmen konkret gestaltet wird, das kann dann in einer BV festgehalten werden.

Ich würde mir wünschen, dass es eine fallbezogenere Urteilssprechung gibt, z.B. dass 3 Jahre nach einem BEM keine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen werden darf.

  • Das BEM ist im Gesetz verankert und somit rechtlich vorgeschrieben. Trotzdem betrachten einige Unternehmen die BEM-Gespräche als lästige Pflicht. Wie würden Sie argumentieren, wenn Unternehmen nur das juristisch „Nötigste“ tun?

Das hat vor allem mit einer fehlenden Strategie der Arbeitgeber zu tun. Das BEM bietet viel Potential, wenn man es in eine umfassende – auch präventive – Strategie einbindet. Häufig habe ich auch erlebt, dass aus Unwissenheit oder auch Neugierde auf der Diagnose des Betroffenen rumgeritten wird, auch wenn sie eigentlich gar kein Bestandteil des BEM-Gesprächs sein soll.

Zuletzt gibt es natürlich immer mal wieder auch niedere Beweggründe der Arbeitgeber. Sobald der AG Kenntnis über die Ursache der Krankschreibung hat, kann das gegen den Arbeitnehmer verwendet werden.

Ich sehe hier vor allem den Bedarf, den Betriebsrat im Umgang mit Schwachen im Unternehmen zu schulen. Letztendlich ist Arbeit ja nicht nur ein Job. Da hängen Existenzen dran! Wenn jemand mit 55 personenbedingt gekündigt wird, dann ist die Altersarmut vorprogrammiert.

  • Können Sie aus Ihrer Erfahrung Empfehlungen für Arbeitnehmer geben, für die das BEM zum Tragen kommt?

Ich empfehle, nie unvorbereitet und im besten Fall auch nicht alleine ins BEM-Gespräch zu gehen. Die eigenen Ziele sollten klar definiert sein: Was will ich erreichen?

  • Wie sieht es mit der anderen Seite aus, was empfehlen Sie Arbeitgebern?

Betriebsrat und AG sollten die gemeinsame Schnittmenge besprechen. Dabei sollte die Frage im Vordergrund stehen, welche Möglichkeiten es grundsätzlich gibt, um sinnvolle Lösungen für betroffene Arbeitnehmer zu finden. Auch BR und AG sollten ihre Ziele für das BEM-Gespräch vorab definieren.

Und um nochmal auf den Anfang des Gesprächs zurück zu kommen: Ich empfehle die Verankerung in einer Betriebsvereinbarung.

  • Können Sie ein Beispiel aus der Praxis berichten, bei dem ein gelungenes umfassendes BEM implementiert wurde?

Ja, ich erinnere mich gut an eine Kollegin aus der Altenpflege. Sie hatte einen Bandscheibenvorfall. Das kann gerade in der Altenpflege das „Aus“ bedeuten. Der Arbeitgeber hat jedoch umfassende Maßnahmen ergriffen, die auch den anderen Arbeitnehmern zu Gute kommen. So wurden beispielsweise Hebehilfen angeschafft, eine Rückenschule für alle Mitarbeitenden angeboten und sich in konkreten Fällen am Kieser-Training (einem speziellen Rückentraining) beteiligt. Das Wichtigste aber war, dass der Kollegin durch die Handlungsbereitschaft des Arbeitgebers die Angst genommen wurde, und es ihr allein dadurch schon besser ging.

Über den Autor

Prof. Dr. Magdalena Bathen-Gabriel

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