„Flexibilität? Aber so nicht!!“ Wenn Change Prozesse den Resilienzfaktor Flexibilität auf eine harte Probe stellen

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Flexibilität ist eine wichtige Resilienzsäule, um Veränderungen gewachsen zu sein. „Verordnete Veränderungen“, wie sie in Change-Prozessen notwendig sind, rufen allerdings eher Reaktionen des Gekränktseins hervor anstatt Flexibilität. Gerade bei Führungskräften ist das tragisch – wer soll den Mitarbeitenden denn Orientierung geben? Wie man das verstehen kann und welche Wege hinausführen, beschreibt dieser Artikel.

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Flexibilität fällt leicht, wenn sie selbstbestimmt ist

Die Fähigkeit zu flexiblem Handeln ist ein wesentlicher Pfeiler von Resilienz, so Dr. Bathen-Gabriel im letzten Blogbeitrag. Wer auf neue herausfordernde Situationen mit alten Verhaltensroutinen antwortet, wird eher Enttäuschung und Misserfolg ernten als derjenige, der dann neue Wege erprobt, selbst wenn sich das Neue zunächst unsicher anfühlt.

Das klingt logisch und einfach. Und so ist es auch, wenn wir selbst die neue Situation aufsuchen. Beispielsweise wenn wir ein neues Hobby beginnen, unseren Freundeskreis erweitern wollen oder uns für ein interessantes Projekt melden: Dann gehen wir positiv gestimmt, mit einem guten Selbstwertgefühl und vollen inneren Ressourcen an die Sache heran.

Leider ist die Flexibilität im Arbeitsalltag oft in einem anderen Kontext notwendig: nämlich dann, wenn Steine im Weg liegen. Doch dann liegt den meisten Menschen nichts ferner, als flexibel neue Alternativen zu probieren!

„Verordnete Veränderungen“ aktivieren alte automatische Reaktionsmuster

Ob neuer Orga-Plan oder veränderte Prozessbeschreibung: unsere gewohnten Handlungsmuster werden blockiert. Was passiert innerlich? Frust, Ärger oder Enttäuschung steigen hoch. Statt locker über alternative Lösungswege nachzudenken, verengen sich die Gedanken. Wir suchen nach Schuldigen und bemitleiden uns selbst. Kreativität hat keinen Platz mehr im Kopf, denn unter Stress werden zunächst ganz alte Muster aus dem automatischen Kampf-Flucht-Totstell-Schauspiel aktiviert .

Herr R.: „Die Aufbauarbeit meiner letzten Jahre wird komplett zerstört.“

Dazu ein (etwas verfremdetes) Beispiel, was mir in einem Seminar geschildert wurde:

Herr R., 43 Jahre, Fachwirt, ist schon lange Führungskraft in einem Dienstleistungsunternehmen. In den letzten Jahren hat er einige Wechsel durchmachen müssen, die durch betriebliche Reorganisationen bedingt waren. Nun führt er eine operative Einheit mit insgesamt etwa 40 Mitarbeitenden und drei Teamleitern. Er hat viel Engagement darein gesteckt, diese Einheit zusammenzuschweißen und die Kommunikation zu verbessern. Auch das „Denken über den Schreibtischrand hinaus“ und die interne Kundenorientierung hat er gestärkt..

Da entscheidet sich das Unternehmen – für ihn überraschend – dazu, die Aufgaben anders aufzuteilen, so dass zwei seiner Teams zukünftig zu einem anderen Bereich gehören werden. Nun wäre Flexibilität angesagt! Was macht Herr R.?

Er sieht die Aufbauarbeit seiner letzten Jahre komplett zerstört. Nach zwei Tagen, an denen er wie von Schock betäubt herumläuft, beginnt er, in seinem Netzwerk herumzutelefonieren, ob man nicht etwas dagegen unternehmen könne. Seinen Teamleitern sagt er zunächst nichts, aber sie merken wohl, dass irgendetwas nicht stimmt. Auf Fragen weicht er aus. Erst als von oben die Order kommt, die Neuorganisation intern zu kommunizieren, bringt er die Information in das nächste Abteilungsmeeting ein. Dabei ist seine Miene frostig und seine Wortwahl fast sarkastisch.

Die Teamleiter sind von den Aussichten auch nicht begeistert, hatte man sich doch gerade so gut aufeinander eingestellt. Gemeinsam wird auf „die da oben“ geschimpft, das erleichtert für den Augenblick, mehr jedoch nicht. Als eine Teamleiterin fragt, was es denn noch nützen würde, hier im Meeting für die sich bald auflösende Abteilung zu planen, sagt Herr R. die Teamsitzungen bis auf weiteres ab. Doch damit nicht genug. Auf seine guten Arbeitsroutinen ist kein Verlass mehr. Aufgaben, die er delegiert hatte, fragt er oft nicht mehr ab. „Beständigkeit ist ja wohl nicht mehr gewünscht“, erklärt er.

Herr R. ändert sein Arbeitsverhalten – doch ist das Flexibilität? Es wirkt eher wie der Trotz eines Kindes. Resilienz sieht anders aus. Den Blutdruck von Herrn R. will man gar nicht wissen. Doch stellen wir uns nicht über die Dinge, bloß weil wir gerade nicht in einer solchen Situation stecken! Als Psychologin sage ich Ihnen: Das ist eine normale menschliche Reaktion.

Kränkung ist eine normale menschliche Reaktion

Denn eine solche Erfahrung reaktiviert frühkindliche Erinnerungen, wie wir als kleines Kind einer Umgebung ausgeliefert waren, in der alle größer und mächtiger waren als wir. Jeder Mensch hat da andere Muster ausgebildet. Ob man eher zu Verdrängung, Projektion, Rettersyndrom oder anderen psychischen Bewältigungsstrategien neigt: Allen ist gemeinsam, dass diese Programme in unserem Hirn uns vergessen lassen, welche Fähigkeiten wir als erwachsener Mensch haben.

Wie können wir nun wieder Resilienz aufbauen? Wie wieder an unsere Flexibilität herankommen?

Der erste Schritt besteht darin, überhaupt wahrzunehmen, in welchen Kind-Ich-Zustand wir uns gerade verrannt haben. Das schafft einen ersten inneren Abstand zu den alten Mustern.

Erst nach einer Trauerphase ist Flexibilität wieder möglich

Der nächste Schritt ist, die Realität anzunehmen: „Es ist, wie es ist“. Das hat fast etwas Buddhistisches. Und es kann wirklich schwer sein, je nachdem, um was es geht. Obwohl man im Berufsleben sachlich sein soll, kann man hier schon mal richtig zornig oder traurig werden. Denn es ist doch wirklich enttäuschend, was beispielsweise Herrn R. passiert ist. Sein Aufbauwerk entgleitet seinen Händen, eine tatsächliche Kränkung hat stattgefunden. Unsere Macht in großen Organisationen ist nun einmal beschränkt, das ist der Preis für den (relativ) sicheren Arbeitsplatz. Durch eine Art Trauerphase müssen wir durch, um innerlich loszulassen von der Vergangenheit.

Erst danach gehört flexibles Herangehen wieder zu unseren Möglichkeiten. Aber es kommt nicht automatisch. Vielfach bricht auch nur ein Aktionismus aus. Man macht irgendetwas, um aus der Starre rauszukommen. Doch besser ist es, gezielt vorzugehen. Dabei hilft das richtige Handwerkszeug.

Handwerkszeug, um Flexibilität in der Praxis zu verankern

Handlungsroutinen können uns unterstützen, um die wiedergewonnene Ressource „Flexibilität“ in der Praxis zu verankern und nicht wieder zu verlieren. Zwei Beispiele aus meinem Methodenrepertoire will ich Ihnen vorstellen:

Die 3-Alternativen-Technik

Diese einfache Technik besteht darin, sich selbst (und auch Mitarbeitenden) für jede Frage drei verschiedene Lösungsideen abzuverlangen. Zwei Alternativen sind schon besser als nur ein Vorschlag, klar. Warum sind drei Alternativen noch vorteilhafter? Bei zwei Alternativen ergeben sich meist zwei Pole auf einer Dimension, beispielsweise eine schnelle und eine langsame aber nachhaltige Lösung. Oder bildhaft gesprochen: Ein Mercedes- versus ein VW-Käfer-Modell. Für eine dritte Variante wird das Gehirn gewissermaßen genötigt, zwischen diesen Polen zu vermitteln. Es muss ein mittleres Modell erfinden. Oder aber eine Lösung auf einer höheren Ebene entdecken, wo die bisherigen Gegensätze aufgehoben werden. Analog zum Beispiel etwa ein Mercedes, aber als Gebrauchtwagen.

Team-Meeting zu Veränderungen

Dieses Tool ist besonders geeignet, um als Führungskraft auch das Team mitzunehmen und dessen Resilienz zu stärken. Es ist eine Besprechungsagenda für Change-Situationen in Form einer Kurzmoderation.

  1. Informationen zu kommenden Veränderung, damit jeder weiß, wovon gesprochen wird
  2. Sammlung von Gedanken (auf Karten an einer Pinnwand, oder live visualisiert mittels Beamer)
  • Was geht zu Ende? Was müssen wir loslassen?
  • Was bleibt? Was können wir bewahren?
  • Welche neuen Chancen und Möglichkeiten gibt es?
  1. Was ist konkret zu tun, um aus der Lage das Beste zu machen? Aktionsplan

Solche Methoden sind hilfreich, um unserer Flexibilität wieder auf die Sprünge zu helfen. Und dabei passiert noch etwas Weiteres, sehr Wichtiges: Wir erleben uns wieder als Handelnder, als Gestalter unseres Lebens, und nicht mehr als Opfer.

Aus der Opferrolle aussteigen

Dabei gibt es einen Trainingseffekt: Je öfter wir es schaffen, unsere Flexibilität wieder zu beleben, desto leichter wird es beim nächsten Mal. Es ist wie im Fitness-Studio. Die richtige Technik, der richtige Trainer und viel, viel Übung machen den Meister.

Apropos Übung: Einen Leitfaden zum „Team-Meeting bei Veränderungen“ können Sie hier herunterladen.

Über den Autor

Sabine Neugebauer

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