Enge oder weite Führung? Eine schnelle Orientierung für Führungskräfte

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Frau Heller war auf dem Weg zur Arbeit. Diese Woche würde ihr neuer Mitarbeiter anfangen, und sie hatte es leider nicht geschafft, den Einarbeitungsplan zu erstellen.

„Brauchst du gar nicht!“, hatte ihr Freund am Frühstückstisch gesagt, „das ist doch ein interner Wechsel, der Kerl ist schon zehn Jahre bei eurer Firma. So ein alter Hase kann sich alleine zurechtfinden.“

Sie war sich nicht sicher. Eigentlich gehörte eine strukturierte Einarbeitung zu ihren Standards, aber im Moment war wirklich viel los. Beim ersten Meeting ergab sich die Gelegenheit, kurz einen Abteilungsleiterkollegen zu fragen, den sie schätzte.

„Aha, der kommt jetzt zu euch. Also, was ich so gehört habe, ist er kein – wie soll ich sagen? – kein intellektueller Überflieger. Da würde ich auf Nummer Sicher gehen und unbedingt eine systematische Einarbeitungszeit planen.“

Nach dem Meeting hatte Frau Heller kurz Zeit, den neuen Mitarbeiter persönlich zu begrüßen. Er war dabei, sich den Schreibtisch einzurichten, und hatte auch schon von der IT den neuen Systemzugang erhalten. Frau Heller sprach an, dass sie seinen Einarbeitungsplan noch nicht fertig hatte und wollte einen Termin dafür gegen Ende der Woche vereinbaren.

Doch der Mitarbeiter reagierte empört: „Einen Einarbeitungsplan brauche ich nicht. Wollen Sie mich gängeln? Ich bin doch kein Azubi.“ Frau Heller verwahrte sich gegen den aufgebrachten Tonfall und bot an, dass der neue Mitarbeiter auch selbst überlegen könne, wie er am besten in das neue Fachgebiet hineinkäme.

Wer muss denn hier zufrieden sein?

  • Die Führungskraft Frau Heller? Sie macht den Einarbeitungsplan, weil es ihr Standard ist?
  • Der neue Mitarbeiter, der lieber alleine entscheiden möchte, wie er seine ersten Wochen in der neuen Abteilung gestaltet?

Weder noch! Zufrieden sollte der sein, der das Gehalt bezahlt. Und das ist die Firma, bzw. die Kunden, von denen die Firma lebt. Und was ist dafür vermutlich wichtig? Dass der Mitarbeiter möglichst schnell und sicher zu einer guten Leistung imstande ist.

Das Konzept „Enge versus weite Führung“

Dies ist eine pragmatische Unterscheidung, wie die Führungskraft im Großen und Ganzen mit einem einzelnen Mitarbeiter oder einer einzelnen Mitarbeiterin umgeht.

Damit grenzt sie sich ab von Konzepten für einzelne Handlungsaspekte (wie z. B. Gewaltfreie Kommunikation) oder andererseits von Konzepten für alle Mitarbeitenden (wie z. B. Transformationale Führung).

Pyramide aus dre Ebenen
Pyramide – (c) Pixabay-Lizenz 2021

Das Konzept „Enge – weite Führung“ bewegt sich also auf einem mittleren Niveau und das finde ich besonders praktisch. Denn es gibt einerseits ein festes Geländer, welche Herangehensweise wann besser ist und warum. Andererseits lässt es den Führungskräften eine große Freiheit, wie sie dies – passend zu ihrer Persönlichkeit wie zur Unternehmenskultur – ausgestalten wollen.

Enge Führung bedeutet dabei eine kurzgetaktete Begleitung mit Schwerpunkt auf der konkreten Aufgabenerledigung. Die Führungskraft unterstützt durch konkrete Erklärungen und Vorgehenstipps. Damit hilft sie, Fehler und Umwege zu vermeiden.

interessant auch: Führungs-Tools für enge Führung

Weite Führung lässt dagegen einen großen Spielraum für eigene Entscheidungen und Arbeitsgestaltung der Mitarbeitenden. Die Führungskraft fördert, indem sie unternehmerische Zusammenhänge darstellt und zu Verbesserungen herausfordert. Damit schafft sie Chancen, dass die guten Mitarbeitenden ihre Kompetenz zum Wohle der Firma einbringen und sich selbst weiterentwickeln.

mehr Infos zu weiter Führung: Ziel- und Leistungsorientierung

Schrittpläne als typische Form der engen Führung

Ein Einarbeitungsplan ist wie andere Schrittpläne auch eine typische Form von enger Führung. Es geht um die Arbeitsebene, die konkrete Erledigung von Aufgaben, ganz praktisch. Und das wird von der Führungskraft gesteuert. Sie gibt Anweisungen, was der Mitarbeiter wann und wie zu bearbeiten hat, und kontrolliert engmaschig.

Wann ist enge Führung geeignet?

Wie Sie sich gut vorstellen können, macht das nur Sinn, wenn die betreffende Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter es nicht selbst kann. Das ist bei einer Einarbeitungssituation grundsätzlich naheliegend. Weitere typische Anwendungssituationen sind:

  • neuer Aufgabenbereich
  • neues System (IT o.a.)
  • persönliche Schwachstelle (z. B. Kundentelefonate bei Sachbearbeitung)
  • Rückschritt in der Kompetenzentwicklung
  • zu wenig Motivation/Antrieb
  • falsche Prioritäten

Und wenn der Mitarbeiter nicht einverstanden ist?

Da frage ich zurück: Wer trägt die Führungsverantwortung? Die Führungskraft sollte sicherlich nicht einfach darüber hinweggehen, wenn jemand gegen enge Führung protestiert. Beispielsweise könnte Frau Heller mit dem neuen Mitarbeiter die wesentlichen Arbeitsbereiche durchgehen und sich erklären und ggfs. auch zeigen lassen, was er davon schon beherrscht. Wenn er tatsächlich schon mehr Kompetenz mitbringt, als sie gedacht hatte, kann sie in diesen Themen freie Hand lassen. Der Führungsstil kann also auch für einzelne Aufgabengebiete angepasst werden!

 Wann ist weite Führung geeignet?

Wenn Frau Heller sich überzeugen kann, dass der neue Mitarbeiter in dem einen oder anderen Fachgebiet schon kompetent ist, kann sie ihm mehr Gestaltungsraum geben. Denn dann kann derjenige selbst besser und schneller entscheiden, was der beste Weg ist. Die Eigenkontrolle ist ausreichend, wenn der Mitarbeiter richtig motiviert ist.

Typische Anwendungssituationen sind demnach:

  • routinierte Mitarbeitende
  • bekannte Aufgabenbereiche und Systeme
  • persönliche Stärke (z. B. komplizierter Sachverhalt bei Sachbearbeitung)
  • Fortschritt in der Kompetenzentwicklung, Lernen
  • hohe Motivation
  • richtige Prioritäten

Weite Führung heißt jedoch nicht, solche guten Mitarbeitenden komplett sich selbst zu überlassen. Auch sie haben Anspruch auf Führung, also auf Förderung, Unterstützung und Gesehen werden, nur auf eine angemessene Art und Weise.

Zielvereinbarungen – eine typische Form der weiten Führung

Wesentlich ist, dass hier das Ergebnis (Was soll am Ende erreicht sein?) abgesprochen wird, während der Weg zum Ziel (Welche Maßnahmen und Schritte werden dazu getan?) in der Verantwortung des kompetenten Mitarbeiters liegt.

Im Fallbespiel hätte sich Frau Heller überzeugt, dass der Neue im Umgang mit den automatisierten Briefen ziemlich versiert ist. Deshalb legt sie nun die Verantwortung für den Umstieg auf ein neues Software-Produkt, was in der Firma zum Jahreswechsel ansteht, komplett in seine Hände. Sie besprechen dazu keine konkreten Arbeitsschritte („…fangen Sie nächste Woche als erstes mit… an“), sondern Ziele und Kriterien.

  • Was ist aus Unternehmenssicht dabei wichtig?
  • Etwa: keine Fehler oder Irritationen bei Kunden
  • Und was möchte Frau Heller noch gewährleistet haben?
  • Beispielsweise: keine Überstunden wegen mangelnder Planung, wenn das Jahr dann wieder so plötzlich zu Ende ist

Wie genau der neue Mitarbeiter das hinkriegt, ist dann seine Sache. In regelmäßigen Abständen wird lediglich besprochen, wie es in Bezug auf die Zielkriterien steht.

Entwicklungsorientierte Führung

Enge oder weite Führung dient grundsätzlich dazu, für das Unternehmen die bestmögliche Leistung zu erreichen, sowohl bei kompetenten und motivierten Mitarbeitenden als auch bei den weniger guten. Aber für die Beschäftigten hat der passende Führungsstil ebenso Vorteile, er ist eine gute Entwicklungsumgebung:

Die enge Begleitung gibt den nicht so kompetenten Mitarbeitenden Sicherheit, dass sie es richtig machen. Schritt für Schritt können sie die Anleitungen internalisieren und selbstständiger agieren. Dies immer wieder zu prüfen ist Aufgabe der Führungskraft! Sobald es möglich ist, soll die Führung weiter werden.

Die weite Führung gibt auch den richtig guten Mitarbeitenden noch Entwicklungsanreize, indem sie Verantwortung überträgt, zum Mitdenken über den Schreibtischrand hinaus auffordert und unternehmerische Perspektiven teilt.

Über den Autor

Sabine Neugebauer

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