Neue Arbeitszeitmodelle aus Arbeitnehmersicht

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Frank Lill, Personalratsvorsitzender der NRW.BANK Düsseldorf/Münster, lässt uns in diesem Interview einen Blick aus der Arbeitnehmerperspektive auf neue Formen der Arbeitszeit werfen.

Wie ist der Stellenwert von Arbeitszeitthemen für die Betriebliche Interessenvertretung?

Frank Lill, Personalratsvorsitzender der NRW.BANK
Foto (c) Frank Lill

„Das Arbeitszeitthema hat für die Personalvertretung einen hohen Stellenwert, nicht nur weil es zu den wesentlichen Rahmenbedingungen des Arbeitsvertrages zählt. Der Tarifvertrag setzt hier in der Regel den grundsätzlichen Rahmen, bietet aber einige Spielräume für die Ausgestaltung in betrieblichen Kollektivregelungen.

Die oft üblichen „Flexkonten“ eröffnen für die Beschäftigten Spielräume, in Zeiten von erhöhtem Arbeitsvolumen entsprechende Guthaben aufzubauen, die dann auch Puffer bieten, diese individuell wieder abzubauen.

Formale Beteiligungstatbestände (gemäß LPVG bzw. Betriebsverfassungsgesetz) bei „Mehrarbeitsanträgen“ (nach MTV Banken z. B. Tätigkeiten über 45 Wochenstunden oder an Samstagen)  sind für die Interessenvertretung gute Indikatoren für die Belastungssituationen in den Bereichen.“

Flexibiliserung: Was sind Licht- und Schattenseiten?

„Die jüngeren nachrückenden Beschäftigten sind nach wie vor sehr leistungsbereit, haben aber auch klare Anforderungen an Rahmenbedingungen. Diese gehen von Erwartungshaltungen an mobiles Arbeiten / Homeofficeangebote bis zu Optionen für Arbeitsunterbrechungen (Nutzung von Sportangeboten oder Social Media).

Nicht nur für diese Gruppe rückt immer mehr das Effizienzthema in den Vordergrund: „Top-Performer“ ist nicht mehr, wer als erster kommt und am längsten bleibt, sondern wer das bestmögliche Ergebnis im Zweifel auch in Normalzeit erreicht.

Grundsätzlich trägt Flexibilisierung das Risiko der Entgrenzung in sich: Je mehr starre Arbeitszeitbandbreiten als Einschränkung oder Hemmnisse wahrgenommen werden, desto größer ist auch die Gefahr, kein Ende zu finden oder gar nicht mehr abschalten zu können.  Die gefühlte „Freiheit“ einzugrenzen ist auch für die Interessenvertretung ein schwieriges Feld. Wenn wir Grenzen einfordern oder Schutzrechte wahren wollen, engt das ggf. Spielräume ein und kommt daher in der Belegschaft nicht immer positiv an.“

Wo sehen Sie Vor- und Nachteile von neuen Arbeitszeitformen?

Gleitzeitformen und Vertrauensarbeitszeit

„Verschiedene Gleitzeitformen schaffen flexible Möglichkeiten, sowohl auf Belastungen, aber auch auf entspanntere Arbeitsphasen angemessen zu reagieren.

Vertrauensarbeitszeit wird von einigen als Privileg empfunden, schafft aber unter Umständen auch Mehrklassengesellschaften.

Im Bereich der außertariflichen Angestellten gibt es den Spielraum, dieses Thema grundsätzlich zu regeln, Nebeneffekt kann sein, bestimmte Puffer über der Regelwochenarbeitszeit als eingepreist zu definieren. Ein Risiko für die Betroffenen ist, ohne Eigendokumentation den Überblick über das geleistete (Mehr-) Arbeitsvolumen zu verlieren.

Im Tarifbereich ist das Thema Vertrauensarbeitszeit schwierig bis gar nicht darstellbar. Aus meiner Sicht ist das aber auch hier grundsätzlich keine erstrebenswerte Lösung.“

Homeoffice

„In Zeiten zunehmender Digitalisierung sehe ich das als einen Trend, der nicht mehr aufzuhalten ist. Homeoffice hat viele Vorteile: Die Beschäftigten ersparen sich Wegzeiten. Gerade bei konzeptionellen Tätigkeiten haben sie mehr Ruhe und können effizienter arbeiten. Es bietet Erleichterungen bei der Abbildung von Familie und Beruf. Allerdings  sollte eine Kinderbetreuung trotzdem sichergestellt sein.

Nachteile gibt es insbesondere, wenn der Anteil von Homeoffice-Zeiten zunimmt: Dann steigt das Risiko der Entkoppelung von Firmenkultur, betrieblichen Sozialkontakten, aktuellen Entwicklungen und persönlichem Austausch.“

Jahresarbeitszeitkonten, Lebensarbeitszeitkonten

„Dies sind durchaus überlegenswerte Themen, insbesondere bei erwartbarer noch langer Betriebszugehörigkeit. Die konkrete Regelung ist aber nicht trivial! Verzinsung, Arbeitgeberwechsel oder Teilzeit, das alles muss bedacht werden.

Aus Arbeitsgeberperspektive ist so etwas oft nicht gewünscht, da es nur so komplex darzustellen ist. Manchmal gibt es auch die Sorge, dass Teile der Zeitguthaben auf den Konten durch bestimmte Teile der Belegschaft nur „abgesessen“ werden, z. B. um Rentenanwartschaften oder einen früheren Ausstieg zu „erdienen“.“

Wo gehen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen zusammen, wo nicht?

„Arbeitszeit ist eine wichtige betriebliche Größe. Sie als Steuerungsgröße und Messeinheit einzusetzen, daran kommen beide Seiten grundsätzlich nicht vorbei. Auseinander gehen die Sichtweisen bei der Frage des Maßstabs: In welchem Umfang darf im Kontext mit Vertrauensarbeitszeit Mehrarbeit erwartet werden? Soll das Unternehmen diesem Personenkreis Gleitzeit- oder Ausgleichstage zugestehen?“

Wo muss die Interessenvertretung anschieben, wo warnen oder bremsen?

„Gerade im Kontext von mobiler Arbeit verlassen die Nutzer die „Kontrollsphäre“ der Führungskräfte. Die müssen dann umlernen! Sicher bedarf es noch einiger Erfahrungswerte, dass diese Gruppe größtenteils sogar produktiver ist, als unter den Rahmenbedingungen und auch Ablenkungen im Büroalltag. Man kann sich klarmachen: Wer wenig arbeiten will, kann dies auch im Büro tun.

Warnen oder bremsen, das ist insbesondere beim Umgang mit den Gefahren von Entgrenzung der Arbeit der Fall, wie schon oben angeführt. Regelwerke werden gern als unliebsame Barrieren wahrgenommen. Arbeitszeitbandbreiten oder die 11 Stunden Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen nimmt man nicht ernst: „Wenn die Kinder im Bett sind, kann ich doch um 20 /21 Uhr nochmal prima das Laptop anwerfen.““

Welche Kompetenzen brauchen Beschäftigte, um mit mehr Flexibilität umzugehen?

„Größere Spielräume schaffen mehr Freiheiten und Autonomie. Damit einher geht aber auch ein Mehr an Verantwortung für die eigene dauerhafte Balance, die der Einzelne tragen muss.

Durch die fortschreitende Technisierung erfolgt seit einigen Jahren eine inzwischen als „normal“ empfundene dynamische Verdichtung und Bildschirmabhängigkeit.

Erwartungshaltungen nehmen zu, sich auf Antwortzeiten auf Mails oder das Tempo von Bearbeitungsprozessen zu fokussieren. Es kommt dabei immer zu kurz, auf wechselnde Beanspruchungen zu achten, denn nur das ist gesundheitsförderlich.

Ob das Arbeiten unterwegs oder zu Hause immer ergonomischen und anderen zwingenden Anforderungen entspricht, kann sicher in einer gewissen Zahl der Fälle kritisch hinterfragt werden. Daher ist auch hier mehr Eigenverantwortung gefragt, um auch langfristig Schritt zu halten und die Gesundheit und die Arbeitskraft zu erhalten.“

Herzlichen Dank für das Interview!

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Sabine Neugebauer
Von Sabine Neugebauer

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